Geschichte der Juden ins Namslau
Johannes Paprotzki

Deutsche gehen nicht zugrunde, sowenig wie die Juden, weil es Individuen sind.

Goethe, zu Riemer, 1808

Die Juden haben sich in Namslau schon sehr früh niedergelassen. Sie wohnten in der "plaka Judeorum, der Judengasse", die 1321 zum ersten Mal urkundlich erwähnt wird. Wilczko und Abraham von Namslau sind die ersten Namslauer Juden, deren Namen wir kennen. Da in Namslau 1349 die Pest wütete, halten sich zwischen 1350 und 1360 die Narnslauer Juden in Breslau auf.
1359 wurde der Breslauer Rat von Kaiser Karl IV. beauftragt, in Namslau, Guhrau und Neumarkt den Judenschutz zu übernehmen.
1380 erteilte Kaiser Wenzel der Stadt die Erlaubnis, zwei Jahrmärkte abhalten zu dürfen, 1423 erhielten die Namnslauischen Kaufleute zugleich mit den Breslauern die Genehmigung des Großfürsten von Litauen, frei in allen seinen Ländern handeln zu können. Inzwischen wurden die nach Polen ausgewanderten Juden dort zu einem wichtigen Faktor; als Käufer und Verkäufer von und nach Polen, bereisten die polnischen Juden alle Märkte und Messen und machten den einheimischen Kaufleuten Konkurrenz. So auch in Namslau. Dagegen wehrten sich die Krämer und sie erhielten 1490 gegen eine jährliche Abgabe von einem Pfund Pfeffer und zwei Lot Safran an den Rat von diesem die Zusicherung, daß außerhalb der Jahrmärkte kein Fremder etwas am Orte selbst feilhalten dürfe. So blieb es nun längere Zeit. An die Juden erinnerte nur noch der Name der "Judengasse", der sich bis in das 16. Jahrhundert erhielt. Erst im 17. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Neubegründung jüdischer Gemeinden in Schlesien und auch im übrigen Deutschland, sind in Namslau Juden wieder nachweisbar.
Der schwedisch-polnische Krieg traf besonders schwer die Posener Juden. Sie wurden getötet, vertrieben und beraubt, und zwar besonders von ihren "Landsleuten", den Polen, an deren Spitze sich der berüchtigte Czarnechi durch Judenmorde auszeichnete. So flüchteten zahlreiche Juden, aber auch Polen, nach Schlesien, das 1582 sämtliche Juden (bis auf Glogau und Zülz) aus dem Lande verwiesen hatte. In Militsch, Neisse, Ujest und Namslau sind die Flüchtlinge nachweisbar. In Breslau fanden nur geflüchtete Polen Aufnahme.
Vom 17. September 1655 gibt es die Mitteilung, daß Namslau Juden aufgenommen hat.


"Wir Bürgermeister und Rathmanne der Stadt Nambeslaw, thun und bekennen hiermit, daß unter unsserer und gemeiner Stadt Nambslaw , aus Polen alhero geflehete nachgetriebene Personen und Juden sich befinden, wie folget:. Bey Heinrich Kitteln, Bürgern und Gewandschneidern logieret in deren Hinterhause ein Jude, Salomon genandt, welcher zum Bolnischen Bunczel Zöhlner (Zöllner) gewesen, sambt dessen Weibe und vier Kindern.... Bey George Krannschen, Fleischern in dessen Hintherhause ein Jude, Moses von Calisch, mit dessen Weibe und einem Jungen InHerren Johann Wolffens Bürgermeisters, Hintherhause siendt drey Juden, von Calisch, nahmens Jabob, Abraham und Joachimb, mit dreyen Weibern, acht Kindern, einer Magdt, und einem Jungen, zusamben achzehn (18) Personen.

Unter denen, die die unglücklichen Juden beherbergten, befand sich sogar der Bürgermeister, sowie ein Fleischer und Gewandschneider. Dies hinderte aber nicht daran, daß die Juden sehr bald Namslau verließen; denn in Namslau sollte ihnen noch hundert Jahre der Aufenthalt verwehrt sein, wahrscheinlich nur wegen der Furcht der am Ringe wohnenden Krämer und Kaufleute vor dem Handel der Juden. 1657 befanden sich bereits keine Juden mehr in der Stadt Namslau. Aber sie ließen sich dort auf den in der Nähe liegenden Dörfern nieder, so 1657 bereits in Bankwitz, Schmogran, Städtel, Windisch Marschwitz, Dörfern, die zum Teil wenigstens bis 1810 noch von Juden bewohnt waren.

1678 war die Brandwein-Arrende in Namslau (oder in einer Vorstadt) an den Juden Meir b. Josef ha-Kohen verpachtet, der zu der Kempener Gemeinde gehörte. Die Juden in der Umgebung Namslaus vermehrten sich sehr rasch. da sie das ganze Land als Hausierer durchziehen konnten und Brandwein- und Bierarrenden von den Adligen in Pacht erhielten. Hier wiederholt sich das überall besonders in Schlesien typische: die Juden, von dem Betreten der Stadt aus Angst vor der Konkurrenz ausgeschlossen, erobern sich einen neuen Absatzmarkt, das flache Land, das sie so dem städtischen "ehrsamen Handelsmann wegnehmen.


Während der ganzen österreichischen Herrschaftsperiode trat darin keine Aenderung ein, die Juden vermehrten sich auf den adligen Dörfern, richteten dort Synagogen ein, "überschwemmten" das flache Land mit ihren Waren. Auch nach der Eroberung Schlesiens durch die Preußen - 1741 - änderte sich an diesen Verhältnissen durchaus nichts

In Namslau wohnten in dieser Zeit keine Juden, während zum Toleranzamt Namslau elf auf den Dörfern wohnende Juden gehörten. Erst während des siebenjährigen Krieges sind Juden in Namslau wieder nachzuweisen.

"Am 13. Februar 1763 wurde Namslau ansässigen Juden Simon Abraham, Fischei Moises und Mendel das Königl. preuß. Edict vom 11. Januar 1763 vorgelegt, das die Münzausfuhr aus verbot. . Unter diesen drei Juden befinden sich Fische! Moises, der Urahne der schlesischen noch heute weit verbreiteten Familie Lebrecht und Mendel Lazarus, der Urahne der Familie Starke und Chasak in Namslau. Es waren polnische Juden, die über die nahe polnische Grenze während der schlesischen Kriegswirren gekommen waren und für den preußischen Staat irgendwie geleistete Dienste die Niederlassungsconcession für das bisher den Juden verschlossene Namslau erlangt hatten. Fischel Moyses besaß z. B. eine Königliche Concession, daß er in Namslau das "Wechsel Nogotium verrichten sollte". Diese wohnhaften Juden besaßen Läden und hausierten auf dem Lande, denn das Hausieren in der Stadt war ihnen und auch anderen Juden verboten. Wer hierbei erwischt wurde, hatte sich strenger Strafen zu gewärtigen. "

"1789 wurde Gürtel, die Frau des Arrendators Moises Löbel zu Windisch-Marchivitz dabei gefaßt, wie sie Glaswaren in die Stadt brachte. Allerdings stellte sich ihre Unschuld heraus, denn die Waren, die sie mit sich trug, waren bestellt von dem Gastwirt Frey und von dem Schutzjuden Fischel Moises. Moises Löbel gab übrigens bei seiner Vernehmung an, daß er alles Glas aufkaufe und es nach Bachor bei Landsberg (OS) in die Glashütte des Grafen von Henckel bringe, umi es dort gegen neues Glas einzutauschen. Ein anderer Jude, Loebellsak aus Krakau brachte Glaswaren für den Arzt und die Apotheke nach Namslau, ferner Fayencen für das Königsschießen. "

1781 hatte die preußische Regierung, nachdem sie bereits 1776 die Juden vom linken Oderufer vertrieben hatte, die rechts der Oder wohnenden Juden gezwungen, vom Land in die oberschlesischen Städte zu ziehen. 1784 verlangte die preußische Regierung mit einem Male die Regulierung der von der schlesischen Judenschaft an die Breslauer Münze zu liefernden Silbermengen und erhob deshalb eine Sonderumlage bei den begüterten Juden Schlesiens, die sie nach ihrer Schätzung auferlegt, und die unwiderruflich zu zahlen war. Zu dieser hohen Ehre wurden aus Namslau zwei Juden erwählt Fischel Moses (Liebrecht) und Mendel Loeser (Starke), von denen ersterer zu 60 Reichsthalern und letzterer nur zu 50 Reichsthalern veranlagt wurde, Von beiden hieß es, daß sie "Häuser und ansehnliche Crahmladen " besitzen.

1785 wohnten bereits vier Familien in Namslau. Ihnen wurde die "Allerhöchste Cammer Ordre…. wegen des verbotenen Hausierens der inländischen Juden mit ausländischen Waren publiciert " und die Juden. 'a genaue Befolgung desselben erinnert". Um 1790 müssen diese Namslauer Juden eine hohe soziale Stellung in der Stadt eingenommen haben. Sonst wäre es wohl kaum zu erklären, daß bei dem im Jahre 1797 in Namslau stattfindenden Besuch des damaligen preußischen Königs Friedrich Wilhelm II., an dem der Kronprinz und der durch seine jüdischen Beziehungen bekannte Prinz Louis Ferdinand in dem Haus des Kaufmanns Liebrecht Nr. 216" logierte.


Am 28. Oktober 1794 erhielt die Namslauer jüdische Gemeinde auf Grund einer schon am 3. Dezember 1792 erhaltenen Genehmigung der Breslauer Kammer vor dem Krakauer Tore (bei dem sogenannten polnischen Vorwerke) ein Stück Land zur Anlegung eins Begäbnisplatzes gegen Erlegung eines jährlichen Grundzinses von sieben Talern. 1801 protestierte die inzwischen auf acht Familien angewachsene Gemeinde in einem Schreiben an den preußischen König mit anderen schlesischen Gemeinden gegen die Wahl des Lewin Saul Fränckel zum schlesischen Oberlandesrabbiner. (Der erste hieß Jac. Goldberger)


Die Synagoge wurde 1856 von der jüdischen Gemeinde Namslau aus eigenen Mitteln erbaut und am 22. Dezember feierlich eingeweiht. An dieser Feier nahmen auch der Magistrat und die Spitzen anderer Behörden teil.
Was die wirtschaftliche Lage der Juden betrifft, so haben sie ursprünglich nur Kramläden in der Stadt gehabt, auf dein Land waren sie Hausierer.


Sie versuchten, sich aber auch andere Erwerbsquellen zu beschaffen. Sie trafen dabei manches Mal auf den Widerstand christlicher Händler. So wurden den Söhnen der Juden Mendel, Stark und Raphael 1797 auf den Protest zweier Horndrechslermeister hin verboten, mit Drechslerwaren (Pfeifenrohre und Mundstücke hauptsächlich) in der Stadt zu handeln, da dies ein "Eingriff in die Gerechtsame " dieser Meister sei.

Noch ein anderer Beruf wurde ergriffen: eine Gesellschaft von mehreren Namslauer Juden pachtete 1794 bis 1800 und 1800 bis 1806 die Kämmerei-Brandwein-Arrende in Namslau, die das Brandwein-Brennereimonopol für Namslau und einige umliegende Dörfer besaß. Die Pachtsumme betrug jährlich (1800 bis 1806) 1105 Reichstaler. Den Pächtern, den Gebrüdern Liebrecht und Starke, war neben der Brandweinherstellung auch "bewilligt worden, allerhand Sorten von Aquavit und Liqueurs zuzubereiten und verschänken ".

Trotz dieser Bewilligung scheint dieses Pachtunternehmen nicht den erwartelen Gewinst erbracht zu haben, denn 1806 wurde die Brandweinarrende pachtlos. In der nachher erfolgten öffentlichen Versteigerung boten die bisherigen jüdischen Pächter zwar die höchtsie Summe mit 961 Rtbr, aber Friedrich Wilhelm III., der preußische König, befahl in einem eigenhändigen Brief 'an die Stadt Namslau, die Gebote zu annullieren, wobei er zugleich mitteilte, daß "wir" dem Generalprivilegierten Marcus Meyer für sein Geboth von 910 Rtbr. unter den festgesetzten Bedingungen die Pacht adjudicirt haben". Mlarcus Meyer aus Rosenberg pachtete die Arrende für die neun Jahre 1806 bis 1815.

Neben der Handlung wurden auch Handwerker in Namslau von den Juden betrieben: so gab es im 19. Jahrhundert in Namslau jüdische F 1 e i s c h er (Wolff, Schüftan, die Fleischermeister Heimann und David Schiftan), B ä c k e r (Lieberm, Cohn, Bäckermeister Emanue! Beihoff, S c h n e i d e r (Sa!omon Nicolaier, Schneidermeister Ernst Schüftan), S e i f e n s i e d e r (Louis Liebrecht), G l a s er (Alexander Brinitzer, Dav. Seiler), B u c h b i n d e r (Meier-Mändel), S c h u h m a c h e r (Nath. Goldberger) und K ü r .s c h n e r (Abrah. Cohn, Kürschnermeister Heimann Stahl). Die übrigen Mitglieder der Gemeinde waren Kaufleute, Schnittwarenälndler, Getreidehändler, Kramwarenhändler. Auch einen Beamten hatte die Gemeinde. Jacob Goldberger; der letzte war der Kantor und Lehrer Fleischhacker, dessen Sohn Leopold Fleischhacker, ein bekannter Bildhauer in Düsseldorf war.

Auch jüdische Aerzte gab es in Namslau. Im 19. Jahrhundert praktizierte in Namslau Dr. Ehrlich, der auch die gedruckten Gemeindestatuten des Jahres 1860 als Repräsentant mit unterzeichnete. Bei der Choleraepidemie des Jahres 1852 richtete er zusammen mit dem Bürgermeister in Namslau ein Choleralazarett ein. Ein Lehrer unterrichtete an der dortigen jüdischen Schule, 1861 zählte sie nur zirka 15 Kinder, da - wie der Bericht erklärend hinzufügt - "fast ebensoviel jüdische Kinder die evangelische Schule besuchen ".

Von drei Familien im Jahre 1763 wuchs die junge Gemeinde bis 1801 auf 8 Familien; 1812 -bei der Annahme der Familiennamen - zählte der Kreis Namslau 120 jüdische Familien, von denen nur 23 in Namslau selbst wohnten.

Von 1840, wo die Gemeinde 174 Seelen zählte, bis 1871 vermehrte sie sich auf 236 Seelen, wohl die Höchstzahl der Juden in Namslau . Dann verminderte sich die Gemeinde rasch, durch ihr Abwandern in die Großstädte Breslau, Berlin u. a., wo dem Juden damals noch alle Pforten offen standen.


1930 zählte die Gemeinde noch 50 Personen. Der letzte Vorstand bemühte sich noch um den Bau einer neuen Friedhofshalle. Der Friedhof wurde 1794 gekauft und 1862 mit einem neuen Zaun (für 700 Taler) versehen. Die kleine jüdische Gemeinde hat im 1. Weltkrieg 2 Mitglieder zu beklagen, E. Gottheiner und Jul. Herzmann, 1864, 1866 gab es 6 Namslauer jüdische Kriegsteilnehmer, 1871 waren es 7.

In Namslau wohnten 1812 folgende Familien: Chasak (Starke), Cohen, Danziger, Dawa, Eibnitzer (eine alte Familie stammt aus Städtel), Finkenstein, Graumann, Liebrecht (neben Chasak und Starke die älteste Namslauer Familie), Löbel, Mayer, Nachschön, Nathan, Rosenbarth, Samuja, Schiesinger, Schweitzer, Sittenfeld, Starke und Steiner.

Die jüdische Gemeinde Namslau hat später im Laufe dieses 19. Jahrhunderts alle die kleinen jüdischen Dorfgemeinden ihrer Umgebung in sich aufgesogen, die einstmals entstanden waren, weil ihren Mitgliedern die Niederlassung in Namslau verwehrt wurde. Ein Prozeß, der in der Geschichte des jüdischen Volkes seine häufigen Parallelen findet und in dem das Schicksal des wandernden Volkes seinen Ausdruck findet. "


Die Darstellung zur Geschichte der Juden in Namslau bezieht sich auf Quellenmaterial des Katholischen Diözesanarchivs, des Berliner Gesamtarchivs der deutschen Juden, des Stadtarchivs Namslau und der jüdischen Gemeinde.



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