Abschrift eines Briefes:
Hans Gollmer Jena, den 27. Oktober 45.
Prokurist bei der Deutschen Bank Leo Sachse-Str. 43
Sehr geehrte Frau Gräfin!
Nachdem nun die Post für alle Zonen zugelassen ist, erlaube ich mir einmal an Sie
zu schreiben, um ev. durch Sie zu erfahren, wo wir unsere Verwandten, die Familien der Frau
Lampa und deren Mutter ausfindig machen könnten.
Ende Januar erzählte mir der Herr Graf bei einem Besuche in der Bank, dass die Familie
Lampa mit dem Gutstreck mitgezogen ist. Ich hörte inzwischen einmal, dass der Treck durch
das Sudetenland und die Tschechoslowakei gezogen ist. In einem kleinen tschechischen Orte ist
mein Onkel, der Hauptlehrer Krause (Paul, +17.2.45, Vater der Margarethe Lampa, Lehrerin 1-4)
plötzlich verstorben; ohne ihn beerdigen zu können, musste der Treck am nächsten
Morgen weiterziehen. Vielleicht hat sich der Treck nach Bayern begeben und sich in Ihrer Gegend
gemeldet. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir einen kleinen Hinweis geben würden,
falls Ihnen etwas bekannt geworden sein sollte. Ist der Herr Graf auch dort eingetroffen? Die
Bank möchte auch gerne die Adresse erfahren.
Wir sind mit der Bank am 26.1. zu Fuss aus Breslau in hohem Schnee herausgegangen, um
in Etappen über Görlitz, Erfurt in Jena, wo das Gebäude der Bank frei wurde,
zu landen.
Hier sind wir nun seit Anfang März. Auf die amerikanische Besatzung folgte Anfang Juli
die russische Besatzung.
Am 25. Juli würde unsere Bank behördlich geschlossen. Infolge einer Verordnung
der Militärregierung und der Landesverwaltung sind alle vor dem 8.5. (Kapitulation) geführten
Guthaben und die Depots gesperrt, so dass alle Verfügungen unzulässig sind. Wann
und ob mit einer Aufhebung der Sperre zu rechnen ist, ist völlig unbekannt. Sollte sich
der augenblickliche Zustand nicht ändern, so dürften wir nicht mehr lange existieren.
Im Gegensatz zu unseren Verhältnissen geht der Bankbetrieb in der englischen und
der amerikanischen Zone unverändert weiter.
Die Berichte aus Breslau sind schrecklich; an eine Rückkehr ist nicht zu denken.
Lebens-möglichkeiten für Deutsche sind nicht vorhanden. Die Zerstörung der Stadt
soll 75-80 % betragen. Unsere Bank auf der Albrechtstraße ist zum Teil vernichtet; die
Tresore sind beschlagnahmt.
Ich würde mich freuen von Ihnen eine Nachricht erhalten zu können, und danke
Ihnen schon im Voraus für Ihre Freundlichkeit.
Indem ich Ihnen und der gräfl. Familie alles Gute wünsche empfehle ich mich
Ihnen mit besten Grüßen
Ihr
Sehr ergebener
Hans Gollmer