von Elfriede Woltschig
Wir haben uns sehr über den Artikel über das Reichtaler Ländchen im
Namslauer Heimatruf gefreut. In diesem schönen Stückchen Erde liegt das schmucke
und saubere Dorf Droschkau. Es war einst das am weitesten im Osten gelegene Dorf des
Kreises Namslau. Bis 1919 war es rein deutsch. Es besaß zwei Gasthäuser,
zwei Kolonialwarengeschäfte, eine evangelische und eine katholische Schule und
eine evangelische und eine katholische Kirche. Die evangelische Gemeinde von Droschkau
umfaßte insgesamt zehn Dörfer des Kreises Namslau, unter anderem auch das
große Dorf Glausche. Alle evangelischen Bürger, die in diesen Ortschaften
geboren worden sind, wurden in Droschkau getauft, konfirmiert, getraut und von Pastor
Friebe auch beerdigt. Zwei größere Güter lagen in Droschkau, nämlich
das Gut Riemberg und Friederikenhof. In Friederikenhof wurde unsere Heimatdichterin
Friederike Kempner geboren, die sich selbst "die schlesische Nachtigall"
nannte. Das Gut gehörte ihr auch bis zum Tode.
Die evangelische Kirche in Droschkau war aus den reichlich fließenden Spenden
der Gutsbesitzer sehr reich ausgestattet. Drei sehr schöne Kronleuchter, zwei
silberne Abendmahlservice und ein Teller aus purem Gold für die Trauringe gehörten
zu den Schätzen der Kirche.
Als Drosckau im Jahre 1919 polnisch wurde, begann für uns eine so traurige Zeit,
daß keiner, der sie nicht miterlebt hat, durch Berichte und Erzählungen
den richtigen Eindruck bekommen kann. Zunächst wurde unsere Kirche leer, denn
unsere Gemeindemitglieder aus den bei Deutschland verbliebenen Ortschaften durften
nicht mehr über die Grenze in unsere Kirche kommen. Die evangelische Gemeinde
wurde arm, aber nicht nur diese sondern alle Bürger. Das Abgeschnittensein von
Deutschland bedrückte uns alle. Wenn wir nicht ab und zu einmal heimlich nach
Deutschland hätten fahren können, wäre die Zeit kaum zu ertragen gewesen.
Der benachbarte größere Ort Reichtal wurde so öd und leer, daß
das Gras auf dem einst so geschäftigen Marktplatz zu wachsen begann. Die früher
wohlhabenden Geschäfte in Reichtal gingen fast alle kaputt. Ärzte, Juristen
und viele Geschäftsleute verließen das Gebiet. Früher hatten wir noch
die Möglichkeit, über den Ort Glausche nach Reichtäl zu fahren. Da dieser
Weg über deutsches Gebiet führt, war er für uns nach der Abtrennung
des Reichtaler Ländchens von Deutschland durch die Polen versperrt. Wir konnten
nicht mehr nach Reichtal einkaufen gehen. Wir mußten nach Kempen fahren, das
23 km entfernt war. Auch dorthin hatten wir keine Eisenbahn und mußten meist
zu Fuß gehen. Insbesondere mußten wir zu den Behörden nach Kempen,
wenn wir uns die Papiere für einen Grenzübertritt nach Deutschland holen
mußten. Den Weg nach Kempen legten wir immer in Gruppen zurück, weil wir
ja durch das große Waldgebiet hindurch mußten, in dem die Polen schon auf
uns lauerten. Bürger von Droschkau, die nach Kempen unterwegs waren, wurden oft
überfallen und ausgeraubt. Es war damals eine schlimme Zeit.
In dem Bericht über das Reichtaler Ländchen wird besonders der Schornsteinfegermeister
Burda erwähnt. Ich kannte ihn noch persönlich. Er kam immer zu meinen Eltern
zum Wellfleischessen wenn wir geschlachtet hatten. Dabei brachte er uns Kindern
manchmal eine Tafel Schokolade mit, was für uns ein ganz seltener Genuß
war.
Heute ist die evangelische Kirche von Droschkau nicht mehr wiederzuerkennen. Sie wurde
schon bald nach dem Krieg ausgeraubt und geplündert. Jetzt ist auch der Turm
abgebrochen worden.
Erschienen im NAMSLAUER HEIMATRUF Nr.88/September 1980
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Ein Augenzeugenbericht von Frau Elfriede Woltschig
Das Dorf Droschkau Im Reichtaler Ländchen ist besonders hervorzuheben, weil
es drei große Güter und eine sehr große evangelische Kirchengemeinde
besaß. über diese drei Güter und den Einfluß Ihrer Besitzer auf
die Abtretung des Reichtaler Ländchens an Polen sowie über die Kirchengemeinde
will ich jetzt berichten.
Das Rittergut Droschkau, auch Dominium genannt, gehörte einst der Familie von
Prittwitz und Oevron, auf die eine Gruft und über dieser Gruft eine große
Tafel auf den Droschkauer Friedhof hingewiesen hat. Der letzte Angehörige dieser
Familie wurde im Jahre 1904 in diese Gruft gelegt. An der feierlichen Beerdigung hat
noch mein Vater teilgenommen und mir davon erzählt. Nach seinem Tode wurde das
Gut versteigert und durch den Breslauer Hotelbesitzer Nitsche erworben. Dieser verkaufte
es jedoch einige Jahre später an die Bank von Polen, die es alsbald an den Polen
von Sekreski weiterverkaufte. Herr von Sekreski ließ das Gut verkommen und verkaufte
es schließlich an den Polen Szech, der später maßgeblich dabei mitgewirkt
hat, daß Droschkau mit dem Reichtaler Ländchen an Polen abgegeben worden
ist. Im Herbst 1918 hielt der Inspektor des Dominiums Droschkau, Herr Borutzki zum
Erntedankfest eine Rede, in der er zur Empörung aller Anwesenden erklärte
:"Wir stehen schon auf polnischer Erde ...". Er verlangte nach seiner Rede
von den Dorfmusikanten, daß sie die polnische Nationalhymne spielten. Da
haben sie ihre Instrumente eingepackt und sind nach Hause gegangen. Am nächsten
Tag hat sich Herr Borutzki erschossen, weil er seine Verhaftung durch den deutschen
Grenzschutz befürchtete. Seit dieser Rede ging das Gerücht um, Droschken
würde polnisch. Aber da dort - außer den Gutsbesitzern - nur Deutsche lebten,
hatte niemand ernsthaft daran geglaubt.
Das zweite Gut von Droschken war das Gut Riemberg, das ursprünglich der Familie
vom Kemperer gehörte, den Begründern der Stadt Kempen. Der Sohn des letzten
Gutsbesitzers, der das Gut Riemberg übernehmen sollte, ist im ersten Weltkrieg
gefallen. Dann waren nur noch Töchter vorhanden, die das Gut nicht mehr haben
wollten. So wurde es schließlich durch Herrn Kinder erworben. Ich selbst habe
den alten Herrn Kinder noch gekannt. Nachdem er ohne Erben verstorben war, gelangte
das Gut Riemberg über die polnische Bank an einen Herrn Mocejewski, der ein Erzpole
war und bereits in einer Zeit, als Droschkau noch zu Deutschland gehörte, mit
den Polen konspirierte. Der allen noch gut bekannte Pole Korfanti ist häufig als
einfacher Arbeiter verkleidet auf Gut Riemberg gewesen, ohne daß jemand Im Ort
Droschkau gemerkt hatte, daß es der Korfanti gewesen ist.
Das dritte Gut, der Friederikenhof, gehörte der "Rieke", unserer Dorfdichterin.
Sie hatte einen Inspektor Namens Sambale, der ein weltläufiger Verwandter von
uns gewesen Ist. Aus diesem Grund habe ich als Kind viel mit den Kindern von Verwandten
des Herrn Sambale gespielt. Er selbst war kinderlos. Über das Schicksal des Friederikenhofs
ist in diesem Blatt bereits berichtet worden. Auch der Friederikenhof ist in polnische
Hände gelangt. Nach dem Tode von Friederike gelangte das Gut an einen Polen mit
dem deutschen Namen Golz, der mit einer deutschen Frau aus Hirschberg verheiratet war.
Da die Ehe kinderlos blieb, erbte ein Neffe Namens Alfred Mende den Hof. Er war mit
einer Polin verheiratet und optierte für Polen. Er schikanierte in besonderer
Weise die Deutschen in Droschkau. Im zweiten Weltkrieg soll er polnische Partisanen
unterstützt haben, die sich Im Dornberger Wald aufgehalten haben. Jedenfalls ist
er lm Jahr 1939 erschossen worden. Ob er wirklich polnische Partisanen unterstützt
hat, weiß ich nicht. Ich habe ihn noch persönlich gekannt.
Es mag wohl an dem Einfluß der drei polnischen Gutsbesitzer gelegen haben, daß
im März 1919 eines Vormittags der deutsche Grenzschutz überraschend abzog
und schon am frühen Nachmittag Polnische "Soldaten" in den Ort einsickerten.
Es waren Männer in deutschen Uniformen mit den polnischen kantigen Mützen
auf dem Kopf. Die wenigen Polen, die in Droschkau lebten, hatten der einrückenden
Soldateska im nu eine Ehrenpforte errichtet. Aber es zog noch eine Nachhut deutscher
Soldaten in das Dorf ein, die die Polen verjagten und die Ehrenpforte abrissen. Knapp
zwei Stunden nach dem Abrücken der Nachhut hatten die Polen neue Ehrenpforten
errichtet. So ging es damals mehrfach hin und her. Alle Droschkauer waren tief unglücklich,
viele von ihnen weinten und fast alle verkrochen sich aus Angst vor den haßerfüllten
Polen in Ihre Häuser.
Auch bei uns quartierte sich damals polnische Soldateska ein und wir mußten sie
aus unseren Vorräten beköstigen. Solange diese Soldaten noch da waren gelang
es uns noch einige Male, über die neue Grenze nach Glausche zu gelangen. Das waren
aber Ausnahmen, und im großen und ganzen verstanden sich die polnischen Soldaten
mit der deutschen Bevölkerung überhaupt nicht.
Daß damals viel geschmuggelt wurde, lag nicht nur daran, daß das deutsche
Geld durch die Inflation entwertet worden ist, wir alle also sehr arm geworden waren.
Der ausgedehnte Schmuggel war vielmehr auch eine Folge der willkürlichen Grenzziehung,
durch die alle natürlichen und gewachsenen Wirtschaftsbeziehungen von heute auf
morgen abgeschnitten worden sind. Besonders beliebte Schmuggelwaren sind damals Eier,
Butter, Ferkel und sogar Kälber und Schnaps der Droschkauer Brennerei gewesen.
Es war wohl im Jahr 1921, als dem Dorf Droschkau eine "ganz große Ehre"
zuteil wurde: Damals kam der polnische Präsident Wojezekowsky nach Droschkau.
Aus diesem Anlaß hatte der neue polnische Bürgermeister verschiedene deutsche
Bürger des Ortes dazu bestimmt, dem polnischen Präsidenten eine Ehrenpforte
zu errichten. Diesem Befehl folgend hatte auch der Kleinbauer Tanderea eine Ehrenpforte
aufgestellt, aber statt der vorgeschriebenen Inschrift "Swerdecnie Wytemi",
was "herzlich Willkommen" heißt, hatte er in der Mitte der Ehrenpforte
nur ein Stück schwarzes Papier als Zeichen der Trauer angebracht, weil er nicht
für Polen optiert hatte und deswegen kurzfristig aus Droschkau ausgewiesen worden
ist. Vielen anderen Bauern aus Droschkau, die ebenfalls nicht für Polen optiert
hatten, ging es genauso. Die Söhne dieser Bauern wurden ebenfalls unverzüglich
ausgewiesen, wenn sie den Hof ihrer ausgewiesenen Väter übernehmen wollten.
Deutsche, die nach 1908 ein Grundstück in Droschkau erworben hatten,wurden ebenfalls
ausgewiesen und enteignet. Damals herrschte deswegen viel Trauer im Dorf. Wohl kaum
jemand, der diese Zelt nicht miterlebt hat, kann das Leid ermessen, das polnischer
Haß damals über uns gebracht hatte. Der Leidensweg durch zahlreiche polnische
Schikanen hatte
bis zum Jahr 1939 20 Jahre gedauert. Unsere Väter und Brüder waren im ersten
Weltkrieg gefallen, aber niemand hat sich um die Hinterbliebenen damals gekümmert.
Meine Altersgenossen haben mit mir ihre Jugend vertrauern müssen.
Die evangelische Gemeinde Droschkau, von der ich nun berichten will, ist in deutscher
Zeit eine sehr große Gemeinde gewesen.
Sie umfaßte damals folgende Dörfer des Kreises Namslau: Glausche, Schindersfelde,
Riemberg (Gut), Friederlkenhof (Gut), Dominlum Droschkau, Vorwerk, Poser-Hof und Dorf
Droschkau; folgende Dörfer des Kreises Groß-Wartenberg: Sbitschin, Kurobke,
Domsel, Gutglück, Fürstlich Neudorf; aus dem Kreis Posen das Dorf Remlschofke.
Der Gutsherr des Dominimus Droschkau war der Patron der Kirche und hatte deshalb für
sich und seine Familie eine besondere Loge neben dem Altar der Kirche. Die Droschkauer
Kirchengemeinde unterstand damals der deutschen Provinz Posen. Aus dieser Zeit sind
noch mehrere Dokumente und Schriften über Droschkau erhalten, die kürzlich
in der "Posener Stimme", Lüneburg, Bernhard Riesnau Straße 30,
veröffentlicht worden sind.
Das Kirchengebäude war ein roter Ziegelbau mit einem Schieferdach. Rings
um die Kirche wuchsen hohe, sehr alte Linden. Die Kirche konnte während der polnischen
Zeit nach 1918 Ihr 150jähriges Bestehen feiern. Da die Linden um die Kirche
herum alsbald nach Fertigstellung des Gotteshauses gepflanzt worden sind, könnte
ihr Alter jetzt mit etwa 200 Jahren angegeben werden.
Im Innern der Kirche befinden sich an zwei Seiten große Chöre. An der Orgel,
die sich der Kanzel gegenüber befindet, waren die Plätze für die Konfirmanden.
Der Altar war ein altes, selten schönes Kunstwerk, dessen Kernstück ein großes
Mild von der Grablegung Christi gewesen war, das von Paul Apostel aus Trombatschau
gestiftet worden ist. Über dein Altar befand sich die Kanzel, deren Gesamteindruck
von zwei goldverbrämten Engeln beherrscht wurde.
Vom Haupteingang bis zum Altar lag ein roter Teppich, der bei hohen Kirchenfesten mit
einem der Würde des Festes entsprechenden, besonders schönen Teppich überdeckt
wurde. Die Farbe der Altardecke wechselte jeweils mit den Kirchenfesten. Bei Beerdigungen
und zum Ostertest wurde eine Decke aus schwarzem Samt mit Goldborten über den
Tisch gelegt. Zu Pfingsten erhielt der Altar eine grüne Samtdecke , und zu Weihnachten
wurde rot aufgedeckt.
An Giebel der Kirche war eine Sakristei angebracht, in der die Bußandachten stattfanden.
In deutscher Zeit fand an den Sonntagen um 8.0o Uhr ein polnischer Gottesdienst
statt, solange Pastor Friebe, der auch polnisch beten und predigen konnte, Droschkauer
Gemeindepastor war. Zu diesem polnischen Gottesdienst kamen allerdings nur wenige Gläubige,
meist alte Leute, die aus Gewohnheit sowieso frühzeitig in die Kirche gingen und
dabei die polnische Sprache in Kauf nahmen, weil sie sie als Grenzbewohner verstehen
konnten. Als das Reichtaler Ländchen an Polen abgetreten werden mußte, wurde
Pastor Friebe ausgewiesen. Ich erinnere mich noch sehr genau an ihn: er war ein strenger,
aber gerechter Herr. Die Gemeinde war nicht damit einverstanden, daß er sich
im ersten Weltkrieg zum Militärdienst meldete. Er wurde damals als Hauptmann und
Ausbilder nach Breslau eingezogen. Von seinen Söhnen war der älteste im zweiten
Weltkrieg Oberst, der zweite, Helmut, war zu Hause. Seine älteste Tochter, die
im zweiten Weltkrieg beim Roten Kreuz tätig war, heiratete einen Pastor, starb
aber sehr früh. Die jüngste Tochter, ebenfalls in einem Lazarett als Schwester
tätig, soll jetzt noch in Berlin leben.
Pastor Friebe wurde durch Pastor Grolmuss abgelöst, der aber ebenfalls bald eingezogen
wurde. An seine Stelle kam ein Missionar aus Afrika. Er war ein sehr netter Herr. Ich
bin zu ihm zum Unterricht gegangen und wurde von ihm konfirmiert.
1919 zogen polnische Soldaten in das Pfarrhaus ein und verwüsteten das schöne
und gut gepflegte Haus. Die Im Pfarrhaus vorhandene große Bücherei wurde
mit anderen Wertgegenständen durch die Soldaten verbrannt. Die Polen schickten
Pastor Eichler zu uns, einen Junggesellen, der sich ein Zimmer im Pfarrhaus wieder
hergestellt hatte. Er konnte sich in der Gemeinde nicht durchsetzen und wurde wieder
versetzt.
Ich erinnere mich noch, daß im Turm der evangelischen Kirche eine alte Fahne
von den Befreiungskriegen 1813/14 stand. Außerdem befanden sich in der Kirche
mehrere Gedenktafeln für die Gefallenen aus den Kriegen 1870/71 und 1914/18.
erschienen im NAMSLAUER HEIMATRUF /Nr.96(Oktober 1982)
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