In den Abendstunden des 24. Mai 1945 kamen wir in Namslau auf der Ellguther Straße
an. Mit Kruppke, Halangk, Rohr und Dentist Bucks bezog ich ein freistehendes Behelfsheim,
das Kaufmann Otto Kynast neben seinem kleinen Hause erbaut hatte, in dem Herr Przyrodek
- Kutscher bei Julius Gollnisch - wohnte.
Am Sonntag, dem 27. Mai, ging ich vormittags zum ersten Male in die Stadt. Da ich weder
Lederschuhe noch Stiefel besaß, mußte ich die Hausschuhe meiner Frau anziehen.
In der Höhe des Bahnhofs traf ich Baumeister Puchalla, der mir erzählte,
er sei in Namslau geblieben und von den Russen als Bürgermeister oder Vertreter
der Deutschen eingesetzt worden. Er besaß noch seine vollständig eingerichtete
Wohnung in der Krakauer Straße.
Ich ging dann über die Bahn und kam in die Feldstraße. Die Aust-Häuser
waren mit verwundeten Russen besetzt. Das kleine Haus von Direktor Przybilla war ausgebrannt,
ebenso das Köberlein-Haus. Die beiden neuen Häuser von Schmiedemeister Aust
in der Wilhelmstraße sind ausgebrannt.
Das Haus Nr.25, in dem wir im I.Stock wohnten, stand noch. Das Eingangstor war offen,
und ich konnte in unsere Wohnung gehen, an der noch mein Namensschild zu sehen war.
Im Hause Zajuntz wohnten einige Volkssturmkameraden. Herr Zajuntz war als einziges
Familienmitglied in Namslau. Bei ihm wohnten Piontek, Spielmann und der Sohn von Kaufmann
Seidel. Schlossermeister Wende hatte in einem Handwagen seine erkrankte Frau wieder
nach Namslau zurückgebracht; sie starb aber wenige Tage nach der Rückkehr.
Am 28. Mai erschien bei uns im Behelfsheim an der Ellguther Straße unser ehemaliger
Volkssturmmann, der Pole Schmock, er erklärte uns, er sei jetzt polnischer Bürgermeister
in Ellguth und habe vom russischen Kommandanten den Auftrag, Deutsche zur Arbeit nach
Ellguth zu holen. Er forderte uns auf, alsbald zur Arbeit zu erscheinen. Ich ging am
30. Mai mit zur Arbeit nach Ellguth.
Die Polen sorgten dafür, daß die aus dem Reiche zurückflutenden polnischen
Arbeiter sich in den deutschen Ostgebieten seßhaft machten. Das waren die ersten
Polen, die sich in Dörfern niederließen und sich leerstehende Landwirtschaften
aussuchten. Im Laufe des Sommers kamen Polen aus der polnischen Ukraine und Galizien.
Die älteren dieser Polen sprachen fließend Deutsch; denn sie hatten im österreichischen
Heer gedient und den Ersten Weltkrieg mitgemacht.
Ich besaß außer dem Wehrpaß keinen Ausweis, der mich zum Aufenthalt
in Namslau berechtigte. So ging ich am 1. Juni morgens in die Stadt. In der Peter-Paul-Straße
war das polnische Landratsamt. Ein polnisches Mädchen führte mich in das
Nebenhaus, wo ich die Ehre hatte, dem polnischen Landrat, einem Schneidergesellen,
vorgestellt zu werden. Das Mädchen sprach mit ihm ein paar Worte. Dann händigte
er mir den Ausweis aus, und ich konnte gehen. Das Mädchen hatte mir gesagt: "Morgen
um halb sieben hier unten antreten." Alle deutschen Männer hatten sich täglich
zur Arbeit um diese Stunde einzufinden. Ich war also am nächsten Tag pünktlich
zur Stelle und wurde von dem stellvertretenden Landrat mit eingeteilt.
Als ich abends mit leerem Magen in die Ellguther Straße zurückkam, sagte
ich mir, daß es besser sei, wegen der Kost beim Russen zu arbeiten. Ich schrieb
an Puchalla, daß ich vom russischen Arbeitskommando Ellguth zur Landarbeit angefordert
wäre und deshalb dort weiter arbeiten wolle.
Bucks als Dentist hatte vom Polen den Auftrag erhalten, in den Arbeitsräumen der
Zahnärzte und Dentisten alles noch verwendbare Materialzusammen zu suchen. Bucks
erwartete oder hatte sogar zugesagt bekommen, daß er sich in der Stadt eine Zahnarztpraxis
einrichten solle. Viel hat er nicht mehr vorgefunden. Ich war mal mit im Hause Hermann
Gollnisch in den Praxisräumen meines Freundes Kurt Hoppe, wo noch aufgebrochene
Möbelstücke, Bücher, Schreibkram und allerhand herumlag. Die hauptsächlichen
Praxisgegenstände waren schon lange weggeschafft. Am Nachmittag des 3. Juni traf
ich Felix Morawe mit Frau und Tochter, die erst vor einigen Tagen nach Ellguth zurückgekommen
waren und nicht mehr in ihre Landwirtschaft gelassen wurden. Sie wohnten in einem kleinen
Hause in der Nähe ihres Gutes. Nach und nach kamen immer mehr Deutsche zurück,
und jeder von uns rechnete damit, daß eines Tages auch die eigene Familie heimkehrt.
Wir wußten ja noch nicht, daß man gerade in diesen Tagen die Ostgebiete
den Polen zur Verwaltung übergeben hatte. Immer wieder sah man Polen auf der Straße,
die sich die noch freistehenden Landwirtschaften ansahen und einzogen.
Eines Tages traf ich Obergerichtsvollzieher Gustav Reimann mit seiner Frau Erna, die
von Landeshut nach Namslau zurückgekommen waren. Sie waren erschüttert, als
sie von mir hörten, daß das Tannhofsche Haus, in dem sie eine schöne
Wohnung hatten, ausgebrannt sei. Sie kamen im Hause von Josef Eichner an der Ohlauer
Straße unter. Vom Montag, dem 4. Juni, an ging ich täglich kurz nach Sonnenaufgang
mit Halangk nach Ellguth zur Arbeit. Dort bekamen wir Frühstück, Kartoffelsuppe
mit Rindfleisch und Milchnudelsuppe. Brot stand, in Scheiben geschnitten, auf dem Tisch.
Jeder konnte sich satt essen.
Die Milch holte morgens und abends ein Russe aus Damnig, wo im Rittergut etwa 80 Milchkühe
standen und wo gebuttert wurde. Unsere Hauptarbeit bestand zunächst im Ausmisten
und Reinigen der Scheunen. Dann wurde Heu in die Scheune bei Morawe eingefahren. Es
dauerte lange, bis ich endlich lernte, wie man Heu gabelt. Als ich eines Mittags heimkam,
hatten Polen aus unserer unverschließbaren Wohnung meinen Koffer und Mantel mitgehen
lassen. Wir suchten sie und fanden sie auch gleich in der neben unserem Behelfsheim
liegenden leeren Wirtschaft. Nach kurzem Suchen fand Halangk meinen Koffer im Viehstall
in einer Box. - Was nicht vergraben war, wurde aufgestöbert und gestohlen. Sichere
Verstecke gab es nicht. Als wir etwa eine Woche nach dem verhinderten Diebstahl von
der Arbeit heimkamen, war mein Koffer und Mantel wieder weg, diesmal leider endgültig.
Am nächsten Tage verschwanden Rohr und Halangk, die nach Mühlhausen in Thüringen
zu ihren Familien marschieren wollten. So war ich nur noch mit Buchs zusammen. Später
fand sich Paul Klose (ehemals Bürgermeister von Böhmwitz) bei uns ein. Mit
ihm hatte ich täglich in den Kartoffeln Furchen zu ziehen. Die Russen hatten im
Mal Kartoffeln legen lassen.
Eines Vormittags war großer Krach. Skupin und ein anderer Deutscher waren mit
einem Gespann Pferde zum Pflügen auf seinem Feld zwischen Ellguth und Damnig,
als einige Russen erschienen, die Pferde ausspannten und mit ihnen verschwanden. Nachforschungen
blieben erfolglos. Die beiden Deutschen konnten sich natürlich gegen die russischen
Soldaten, die meist Schießeisen trugen, nicht durchsetzen.
Als ich am Morgen des 22. Juni mit den anderen Deutschen bei Morawe auf das Frühstück
wartete, erklärte mir der polnische Bürgermeister Smok, ich könnte gehen,
ich würde hier nicht mehr gebraucht. Nachdem mich Smok entlassen hatte, wäre
mir nichts weiter übriggeblieben, als in die Stadt zum Polen zur Arbeit zu gehen.
Puchalla hätte mir vielleicht eine geeignete Arbeit vermitteln können. Aber
mit der Verpflegung wäre es natürlich dort schlecht gewesen. Deshalb ging
ich noch am selben Morgen zum Polen Josef Kupietz, der sich am Dorfanfang die Bauernwirtschaft
von Jendretzky zugeeignet hatte und dort mit Frau und Kind wohnte. Er war sehr erfreut,
weil er nun noch weniger zur arbeiten brauchte als bisher.
Kupietz hatte in der Waschküche eine Brennerei eingerichtet. Der Waschkessel diente
zum Aufkochen der Zuckerrüben und Kartoffeln, der Deckel war mit Glaserkitt verschlossen
und an ihm die Filtrieranlage mit einer Kupferblase angebracht. Aus einem Röhrchen
tropfte der fertige Alkohol. Der Absatz des Fusels florierte.
Die Akten des früheren Bürgermeisters Jendretzky lagen in einer Box des Schweinestalls.
Kupietz meinte, man müsse doch die Sachen gut aufheben, weil sie der Bürgermeister
später doch noch gebrauchen werde. So haben wir die Akten und Gesetzblätter
in einer Ecke des Schweinestalls aufgestapelt und alles aufgeräumt. Eines Nachmittags
erschien im Hofe ein unbekannter junger Pole. Er war der Bruder meines "Chefs",
der aus Warschau zu Besuch gekommen war. Marian sprach etwas Deutsch. Er besaß
in Warschau eine Gärtnerei. Marian konnte als Nationalpole die Russen nicht vertragen.
Als Angehöriger der besitzenden Klasse war er kein Kommunist.
Es wurde natürlich auf die Russen geschimpft. Das geschah meist, wenn man mit
Polen allein sprach. Kam man mit Russen ins Gespräch über die Polen, dann
wurde auf die faulen Polen geschimpft, die sich vor der Arbeit drückten.
Als ich eines Abends mit Kupietz im Felde war, konnte ich ein paar Worte mit einem
Deutschen wechseln. Er sagte mir, ich sei doch der Amtsgerichtsrat, und riet mir, möglichst
bald zu verschwinden, weil er gehört hätte, die Polen suchten mich. Am Tage
vorher war unser Schlafgenosse Buchs abends nicht aus der Stadt zurückgekommen.
Wir hörten, daß die Polen alle Deutschen, die in der Partei waren, eingesperrt
hätten, und zwar im Keller von "Bethanien". Auch ich hatte bei der Meldung
in der Stadt angegeben, in der Partei gewesen zu sein. Nur der Umstand, daß ich
beim Russen beschäftigt war, scheint mich vor der Inhaftierung gerettet zu haben.
Man hatte 13 Deutsche, darunter Hoffmann, Erich Hartmann, Kreisobmann der DAF (Deutsche
Arbeitsfront) Schubert und Gustav Sasse, festgenommen. Sie haben etwa 15 Wochen gesessen.
Gustav Sasse ist später in der Haft verstorben. Ihn scheint man besonders hart
behandelt zu haben. So erzählte man, er sei viel geschlagen worden und habe bei
jedem Schlag seinen Namen buchstabieren müssen: SA - SS - E. Schubert als gelernter
Friseur brauchte nicht so schwere Arbeit zu leisten, damit er eine leichte Hand behielt,
um die polnischen Herren zu rasieren.
An den Sonntagen ging ich oft in die Stadt, um Bekannte aufzusuchen. Schlossermeister
Wende hatte sich mit seiner Tochter in der eigenen Wohnung wieder einigermaßen
eingerichtet. Da erschien bei ihm ein Pole, der die Werkstatt übernahm und Wende
bei sich beschäftigte. Er hatte Glück, daß er in seiner Wohnung bleiben
durfte. Da der Pole über den Sonntag zu seiner Familie fuhr, konnte Wende hin
und wieder Schwarzarbeit leisten und etwas für sich verdienen, denn bezahlt wurde
kein Deutscher für seine Arbeit. Genauso ging es dem Bäckermeister Görlitz,
Buchhändler Toebe u. a. Die Deutschen waren in der ersten Zeit zunächst wieder
in ihren Wohnungen untergekommen, soweit die Häuser nicht ausgebrannt waren. Aber
bald ordneten die Polen an, daß die Deutschen sich neue Quartiere in der Kloster-
und Brauhausstraße suchen mußten, wo sie dann sehr beengt wohnten.
Die Familie Rektor Josef Peter, mit der wir im gleichen Hause in der Schulstraße
3 bis 1942 gewohnt hatten, wohnte jetzt im Görlitzschen Hause bei einem Fräulein
Reusche, die über etwa drei Räume verfügte. Unser alter Hilfswachtmeister
Hanetzog hatte mit seiner Frau in der Brauhausstraße ein eigenes geräumiges
Zimmer. Studienrat Pickert wohnte ebenfalls dort in einem Hause und mußte die
Wohnung mit der Familie Kusche teilen. Bei ihm sah ich am 19. August 1945 wieder das
elektrische Licht brennen. Die Polen oder vielmehr der Elektromeister Christ hatte
bei Haselbach (Brauerei) einen Dynamo in Betrieb gesetzt und an das städtische
Leitungsnetz angeschlossen. Toebes hatten sich im 3. Stock ihres Hauses unterm Dach
ein geräumiges Zimmer eingerichtet. Das fensterlose Durchgangszimmerstand voller
Bücherregale. Daneben schlief in einer engen Kammer Konditormeister Koschwitz,
der neben seinem Bett ebenfalls ein Bücherregal voller Bücher stehen hatte,
die er aus dem Hofe seines Hauses zusammengesucht hatte.
Im Hause Kirchstraße/Ecke Hospitalstraße gegenüber dem Amtsgericht,
wo die Kreisbauernschaft untergebracht gewesen war, wohnten besonders viele Deutsche,
u. a. auch unser Justizangestellter Oskar Rospunt mit Frau. Er war vollkommen weißhaarig
geworden und hatte als "stary"(alter Mann) das Glück, von Russen und
Polen unbelästigt geblieben zu sein, als er von Sachsen nach Namslau zurückkehrte.
Ihn hatten die Polen damit beauftragt, die Liegenschaftsbücher des Katasteramtes
zusammenzusuchen. - In dem ausgebrannten Hospital in der Langen Straße neben
dem Wendrich-Hause lagen unsere Grundakten und auch die Bücher des Katasteramtes.
Das Amtsgericht, vordem sich über die Hospitalstraße weg in der ersten Zeit
noch ein hoher Bretterzaun befand, war unbeschädigt und wurde wohl als Lazarett
benutzt. Später standen eines Tages Aktenböcke und kleine Tische aus dem
Bestand des Gerichts zur Abholung auf der Straße. Den Hof sah ich voller Akten
liegen.
Zollsekretär Kilian war mit Frau und Tochter im Sommer nach Namslau zurückgekehrt
und wohnte in einem Hause der Kirchstraße. Ein paar Tage später hörte
ich, daß verwundete Russen, die für Stadt und Umgebung eine Landplage waren,
die Tochter von Kilian mit Versprechungen in einen Schuppen gelockt und dort vergewaltigt
hätten. Als sie um Hilfe schrie, stopften sie ihr Federn in den Mund, an denen
sie erstickt ist. Der Seifensieder Proske aus der Krakauer Straße war beim Einzug
der Russen am 21. Januar 1945 in Namslau geblieben. Eines Abends wollten Russen in
sein verschlossenes Haus. Als er auf das Klopfen nicht schnell genug öffnete,
schoß man durch die Tür, und Proske trug durch die Schüsse eine Handverletzung
davon. Ein Arzt war nicht zu erreichen, so ist er - wie er mir erzählte - bis
nach Oppeln gefahren, um sich dort die Wunde ausheilen zu lasen. Der katholische Pfarrer
hatte ihn und den alten Kaufmann Röhricht von der Krakauer Straße im Pfarrhause
aufgenommen, wo beide Herren in einem Räume wohnten.
Die katholische Schule neben der Pfarrkirche war mit alten Leuten in allen Räumen
besetzt. Als ich mal durch den Flur ging, sah ich, daß die Bewohner, die in Namslau
verblieben waren - es waren nur Leute über 60 Jahre- mit Bettstellen und Federbetten
gut ausgestattet waren. In der katholischen Schule wohnte auch Fräulein Margot
Wiechmann, Organistin der evangelischen Kirche, mit ihrer erkrankten Mutter. Ich glaube,
daß die Polen ebensowenig für die alten Leute sorgten wie für die arbeitenden
Deutschen, die nur hin und wieder etwas Brot bekamen. Man rechnete wohl polnischerseits
mit dem langsamen Absterben der Alten. Im Sommer 1945 starben zwei alte ledige Tanten
von Walter Skupin. Seitdem hatte man ein Beerdigungskommando aus einigen deutschen
Männern eingesetzt, zu dem auch zeitweise unser Nachbar Przyrodek gehörte.
Da nur der Stadtpfarrer und ein Kaplan in Namslau waren, haben diese wohl die Beerdigungen
erledigt. '
Als ich eines Abends, es war am 27. Juni, in unser Behelfsheim kam, hatten zwei polnische
Frauen, die mit einem Kind und einer Kuh aus der von den Russen besetzten Ukraine stammten,
unsere Bude ausgeräumt und für uns die andere leere Wohnung eingerichtet.
Vor dem Erntebeginn erschienen eines Morgens ein Russe und der Ellguther Bürgermeister
im Hofe von Kupietz und verlangten von ihm meine Freigabe, ich sollte wieder zur gemeinschaftlichen
Arbeit im Dorfe kommen. Zur Ernte setzte man einen Garbenbinder ein, mit Pferden bespannt.
Damit wurden die wenigen Felder, die überhaupt mit Getreide bestellt waren, was
die Deutschen im Herbst 1944 getan hatten, abgemäht. Es fehlte aber manchmal Bindegarn,
dann mußten wir die Garben mit Strohseilen mit der Hand binden. Damit hatte ich
erhebliche Schwierigkeiten.
Die deutschen Arbeitskräfte reichten allein für die Erntearbeit nicht aus.
Deshalb wurden auch die Polen aus dem Dorf mit herangezogen. Die hatten aber nicht
viel Lust zur Arbeit, sie bummelten lieber herum und "organisierten". Mit
ihnen hatte der "sotys" (Bürgermeister) immer wieder Ärger, weil
sie nicht von selbst zur Arbeit kamen, sondern abwarteten, ob man sie holen würde.
Der Russe hatte schon recht, wenn er sagte: "Pole faul!"
Im Gutshof des Nachbardorfs Damnig, etwa 2 km von Ellguth entfernt, befand sich ein
russisches Kommando. Dorthin waren nur wenige Deutsche heimgekehrt, so daß es
an Arbeitskräften fehlte. Im Gutshause, einem schloßähnlichen Gebäude,
wohnte der Kommandant, ein Staschina (Feldwebel), mit seiner "Freundin" und
einigen Soldaten. In der Küche waren Russinnen beschäftigt, im Abmelkstall
ukrainische Mädchen, von denen jede mehrere Kühe zu besorgen hatte. Die Milch
wurde mittels einer handbetriebenen Zentrifuge verbuttert. Jeden Tag holte man für
die in Ellguth bei den Russen Beschäftigten eine 20-Liter-Kanne voll Milch für
die Milchsuppe, die es täglich nach der Rindfleischsuppe gab.
Als wir in Ellguth Ende Juli mit dem Einfahren fertig waren, begann das Einfahren in
Damnig. Zuerst wurden die Scheunen auf der Erbscholtisei Skupin am Ende des Dorfes
vollgebanst. Dann wurde in unmittelbarer Nähe von Damnig in eine große Feldscheune
eingefahren. Am I.August begann die Drescharbeit bei Skupin. Die Dreschmaschine wurde
mit dem stationären Lanzmotor betrieben. Die Strohpresse hinter der Maschine streikte
oft, weil der Papierbindfaden nichts taugte.
Woher ich mal einige polnische Zlotys bekommen habe, weiß ich nicht mehr. Ich
hatte aber polnisches Geld, so daß ich einige Postkarten an Frau und Verwandte
im Reichsgebiet abschicken konnte. Die polnische Post, die wohl erst im August 1945
ihren Betrieb aufgenommen hat, nahm zwar Postsachen entgegen; es wurde aber betont,
daß nicht zugesichert werden könne, ob die Sachen nach Orten außerhalb
Schlesiens befördert würden. Tatsächlich hat auch keine Karte von mir
den Empfänger erreicht. Das Postamt Namslau hatten die Russen besetzt. Die Polen
richteten sich einen kleinen Raum im Hause Bozionnek, Ecke Bahnhofstraße/Bahnhofsplatz,
als Poststelle ein und erhielten erst etwa im August von den Russen das Postamt übergeben.
Als ich dort mal einen Brief aufgab, stand neben mir am Schalter ein Zivilpole, der
vor oder nach der Abfertigung durch einen polnischen Postbeamten einen Kratzfuß
machte, ein Zeichen der Unterwürfigkeit, wie ich es vorher nie beobachtet hatte.
Am 22. August mußte ich auf Anweisung der Russen beim Abtragen des Kriegerdenkmals
in Ellguth helfen. Es war ein vierkantiger, zwei Meter hoher Obelisk, auf dem die Namen
der im Ersten Weltkrieg gefallenen Dorfbewohner eingemeißelt waren. Das Umlegen
des schweren Steins war mühevoll. Wir haben ihn in der Nähe seines Standorts
im Gebüsch verborgen.
Seit Anfang August gab es in der Stadt eine polnische Verwaltung im Rathaus, bei der
sich alle Deutschen zu melden hätten. Diesmal gab ich meine volle Amtsbezeichnung
an, worauf mich der Pole fragte, ob ich bereit wäre, bei der Einrichtung der polnischen
Gerichtsbarkeit in Namslau zu helfen, ich würde dann gut bezahlt werden. Dazu
hatte ich keine Lust, zumal ich wußte, daß es mit der Verpflegung in der
Stadt noch haperte. Ich erwiderte, ich sei beim russischen Kommando in Ellguth als
Landarbeiter beschäftigt und könne nicht ohne weiteres dort weg.
Als ich am nächsten Tag nach der Mittagstunde zur Arbeit auf den Skupinschen Gutshof
ging, kam mir freudestahlend ein Mädchen entgegen und reichte mir eine Postkarte
der polnischen Post. Vetter Alois Schnabel aus Freiburg in Schlesien schrieb mir, meine
Familie befände sich in Dachwig bei Erfurt. Mit der polnischen Postkarte ging
ich zum russischen Kommandanten, meinem Arbeitgeber, und trug ihm mein Anliegen vor,
alsbald zu meiner Familie zu fahren. Er erklärte sich damit einverstanden und
bestätigte auf meiner Arbeitsbescheinigung, daß ich von Anfang Juni bis
zum 10. September 1945 beim russischen Kommando in Ellguth gearbeitet habe. Für
polnische Kontrollen hatte ich außerdem die russische Bescheinigung von Anfang
Juni, in der man mir den Einzug in meine Wohnung in Namslau, Wilhelmstraße 25,
gestattete; und die trug einen russischen Stempel, was Wunder wirkte. Der polnische
Bürgermeister in Ellguth gab mir auf meine Bitte auch noch eine polnisch geschriebene
Bescheinigung über meine Arbeitszeit in Ellguth.
Da ich kein polnisches Geld für eine Bahnfahrt hatte, mußte ich mich auf
eine Fußreise vorbereiten. Ich holte mir beim russischen Kommandanten die mir
zugesagte Marschverpflegung.
Alle Deutschen, von denen ich mich verabschiedete, beneideten mich. So nach und nach
war nämlich durchgesickert, die Potsdamer Konferenz habe den Polen alle deutschen
Gebiete östlich von Oder und Görlitzer Neiße überlassen.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse so kurz nach Kriegsende waren für die Polen,
die man in Schlesien festgehalten hatte, als sie aus dem übrigen Deutschland in
ihre Heimat zurückkehren wollten, oder die aus den russisch besetzten Gebieten
Polens vertrieben worden waren, nicht gerade rosig. Die zwangsweise in Schlesien angesiedelten
Polen hatten überwiegend den Wunsch, wieder nach Ostpolen zurückzugehen.
Natürlich widerstrebte es ihnen auch, das durch den Krieg überall verwüstete
Land wieder aufzubauen. Denn das hieß für sie, tatkräftig zu arbeiten,
was ihnen ohnehin nicht lag. Dazu kam, daß sie sich in Schlesien nicht recht
wohl fühlten und in ständigem Zweifel waren, ob sie nicht über kurz
oder lang wieder rausmüßten. Was im Sommer 1945 geerntet wurde, war noch
von den Deutschen angebaut worden. Jetzt sollten sie heran!
Am frühen Morgen des 10. September 1945 packte ich meine wenigen Habseligkeiten
und marschierte in Richtung Stadtwald, vorbei an der ausgebrannten Stadtförsterei.
Gegen 17.00 Uhr kam ich nach Grüntanne, wo mich der Hausbesitzer Gerlach für
eine Nacht aufnahm. Wie alle Deutschen lebte auch er unter den Polen und Russen in
den kärglichsten Verhältnissen. Aber man fand trotzdem unter den Deutschen
überall Verständnis und freundliche Aufnahme.
Über Ohlau, Groß-Peiskerau, Neu- und Alt-Schlesing erreichte ich in Wangern
die Bahnstrecke Breslau-Strehlen-Münsterberg-Kamenz. Am Bahnhof erklärte
mir ein deutscher Eisenbahner, mit meinen Papieren könne ich die Bahn auch ohne
Geld benutzen.
Um etwa 18.00 Uhr traf ich per Bahn an der Endstation Kamenzein. Ich schlief bei einer
Familie Raschdorf auf einem Sofa in der Küche, deren Fenster auf die Bahnsteige
ging. Von dort sah ich am nächsten Morgen einen Zug stehen, der in Richtung Schweidnitz
ging. In einem geschlossenen Viehwagen fand ich auf einem Haufen Ziegeln einen Sitzplatz.
In Königszelt mußte ich lange auf den aus Breslau kommenden Zug warten.
Als er endlich kam, waren alle Abteile voll besetzt. Ich konnte nur noch in eine offene
Lore hineinkommen, auf der Polen aus der Ukraine mit Hausrat und Vieh verladen waren.
In Freiburg stieg ich ab und fand bald das Haus, indem meine Verwandten wohnten. Am
Montag, dem 17. September, ging's weiter nach Landeshut. Tante Grete und Martha begleiteten
mich zum Bahnhof. Ich bestieg den Zug nach Waidenburg. Es sollten 14 Jahre vergehen,
bis ich die beiden Tanten meiner Frau wiedersehen konnte.
Gegen 10.00 Uhr hielt der Zug in Dittersbach. Erst um 16.00 Uhr hatte ich Anschluß
nach Landeshut. An einen geregelten, pünktlichen Bahnverkehr war damals in Schlesien
nicht zu denken, weil die Russen auf fast allen zweigleisigen Strecken das eine Gleis
abgebaut und fortgeschafft hatten. Die elektrifizierte Bahnstrecke Breslau-Hirschberg-Görlitz
war bis auf die Masten abgebaut.
Als ein Zug aus Richtung Glatz-Neurode eingefahren war, stiegen einige deutsche Flüchtlinge
aus, die alle zur Kontrolle in einen besonderen Raum geschickt wurden. Auf dem Bahnsteig
blieben aber einige "bessere" Herren in guter Kleidung, die getrennt hin
und her liefen. Sie erweckten den Eindruck, Polen zu sein. Zu ihnen gehörten zwei
Frauen, gut gekleidet und geschminkt, die mit einem Kinde laut Polnisch sprachen. Eine
der Frauen setzte sich auf kurze Zeit neben mich und flüsterte mir unauffällig
zu, sie seien Deutsche aus Oberschlesien und wollten getrennt von ihren Männern
aus Schlesien ausreisen. Um nicht kontrolliert und geplündert zu werden, spielten
sie sich als reisende Polen auf, weshalb sie auch das Kind immer wieder laut Polnisch
riefen. Schließlich steckte mir die Frau ein Stück Brot und etwas Wurst
zu. Das war wirklich eine Überraschung für mich.
In Landeshut suchte ich unsere Quartiergeberin vom Januar 1945 auf, um mir aus dem
Koffer, den wir damals bei ihr abgestellt hatten, wenigstens einen Anzug zu holen;
denn ich besaß ja nur die Windjacke, die Stiefelhose und die recht brüchigen
Schuhe. Hier traf ich Ewald Petrusch, der mich bat, ihn mitzunehmen. Wir entschlossen
uns, am nächsten Morgen von Landeshut loszufahren. Als ich am 18. September morgens
das dunkle Abteil des Zuges betrat, begrüßte mich plötzlich ein Mann
mit meinem Namen. Es war Kaufmann Baccia aus Namslau vom Berliner Holzkontor. Er war
in tschechischer Gefangenschaft gewesen, aber dann wohl krankheitshalber entlassen
worden. Er wollte jetzt nach Berlin zu seiner Firma fahren. Um 10.00 Uhr trafen wir
in Jauer ein, und gegen 18.00 Uhr kamen wir auf dem Hauptbahnhof Liegnitz an. Irgend
jemand hatte mir geraten, nicht etwa mit der Bahn in Richtung Kohlfurt weiterzufahren,
weil wir vor dem Grenzübergang alle unsere Sachen losgeworden wären. Wir
sollten uns lieber ein nach dem Westen fahrendes Russenauto suchen, um besser bis zur
Oder-Neiße-Grenze oder sogar über sie zu kommen. Das Finden eines solchen
Russenautos war allerdings recht schwierig. Erst nach zweitägigem Warten erhielten
wir Mitfahrgelegenheit. Allerdings mußten wir kurz vor Haynau wieder vom Lkw
runter, weil er statt nach Westen in Richtung Süden abbiegen mußte. Wir
liefen in die Stadtmitte von Haynau und fanden dort einen Lkw, der uns bis Kaiserswaldau
mitnahm. Von dort ging's zu Fuß in Richtung Westen weiter, bis uns zwei schwere
russische Traktoren aufsteigen ließen. Bei schönem Wetter konnten wir so
in aller Ruhe hinter uns das Riesengebirge und die Gröditzburg liegen sehen -
und das wohl zum letzten Male. Gegen Abend erreichten wir das Dorf Schwiebendorf vor
Bunzlau. Am nächsten Morgen, dem 23. September, einem Sonntag, nahm uns kurz hinter
Schwiebendorf ein russischer Lkw mit. Etwa zwei Kilometer vor Görlitz erklärte
uns der Russe, wir müßten absteigen, er dürfe uns nicht über die
Grenze mitnehmen. Mit recht gemischten Gefühlen näherten wir uns zu Fuß
der Görlitzer Neiße. Russische Zivilarbeiter kamen uns auf Lastwagen entgegen,
und wir bekamen von ihnen allerhand Schimpfworte nachgerufen. Wir kamen an die Grünanlagen
unterhalb der Görlitzer Ruhmesallee und sahen vor uns die breite hölzerne
Fahrbrücke über die Neiße. Der polnische Posten fragte mich nachdem
Inhalt meines Packens, den ich unterdem Arm trug, ließ mich dann aber gehen.
Am anderen Ende der Brücke saß ein russischer Soldat, der mich ohne weiteres
durchließ. Etwa eine Stunde später ging ein Zug in Richtung Löbau ab.
12 Auszug aus einem nichtveröffentlichtem Bericht
veröffentlicht in "Namslau -eine deutsche Stadt im deutschen Osten"
Band II
S.175 ff
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