Im Jahre 1835 rollte der erste deutsche Eisenbahnzug
von Nürnberg nach Fürth. Drei Jahre später eröffnete Preußen
die Strecke BerlinPotsdam, und 1839 fuhren die Leipziger zum ersten Male mit der Eisenbahn
nach Dresden. Von Jahr zu Jahr dehnte sich nun das Schienennetz weiter aus. Auch in
Schlesien machte der Eisenbahnbau rasche Fortschritte. 1842 schon konnte man Brieg
von Breslau aus mit der Eisenbahn erreichen und ein Jahr später auch Oppeln. Die
Reststrecke zum Industriegebiet folgte bald.
In den fünfziger Jahren bildete sich in Breslau eine Privat-Gesellschaft, die
die Eisenbahnlinie Oppeln-Vossowska-Tarnowitz ausbaute. Nun konnte auch der Plan, die
rechte Oderseite durch einen Schienenstrang zu erschließen, verwirklicht werden.
Doch stellten sich auch bald die Schwierigkeiten ein.
Die Eisenbahn-Baugesellsaft wollte den Namslauer Bahnhof hinter dem jüdischen
Friedhof auf Böhmwitzer Gemarkung errichten. Die Stadtverwaltung stellte sich
diesem Plan aber sofort entgegen. Sie ging von der richtigen Erwägung aus, daß
für Namslau nur ein Bahnhof von Vorteil sei, der an der Rückseite der Stadt,
vor dem sogenannten Rettungstore, liege. Dagegen aber machte die Baugesellschaft ihre
finanziellen lledenken geltend. Das Böhmwitzer Gelände kostete bedeutend
weniger und war zum Bauen besser geeignet, als der sumpfige Platz vor dem lettungstore.
Auch hätten die Eisenbahnzüge beim Anfahren nur nach einer Seite ansteigendes
Gelände zu überwinden, bei der Anlage des Bahnhofes an der Stadt aber beiderseits.
Hinzu kam, daß die Baugesellschaft beim Erwerb städtischen Grund und Bodens
eine Abgabe an den Staat zu zahlen hatte, die in Böhmwitz wegfiel. Es wurde eine
Zeitlang sogar erwogen, die Bahn zwischen Namslau und Deutsch-Marchwitz hindurchzuführen.
Dann sollte der Bahnhof an der "Kiefernheide" (dem heutigen Stadtpark) errichtet
werden. Doch wurde dieser Plan bald wieder fallengelassen.
Die Baugesellschaft fand sich bereit, den Wünschen der Stadtentgegenzukommen,
wenn diese für die entstehenden Mehrkosten eine entsprechende Beihilfe zahle.
Diese sollte darin bestehen, daß die Stadt das Baugelände vor dem Rettungstor
kaufen und für den Preis des Böhmwitzer Geländes der Baugesellschaft
überlassen solle. Die Mehrkosten für die auf dem sumpfigen Gelände zu
errichtenden Gebäude entstanden durch die schwierigeren Schachtarbeiten und die
tieferen und stärkeren Fundamente. Dafür sollte die Stadt die erforderlichen
Ziegeln aus ihren Ziegeleien zum Selbstkostenpreis liefern und die Bauhölzer aus
den Stadtwaldungen unter bedeutenden Preisermäßigungen abgeben. Schließlich
wurde der Stadt aufgegeben, nach einem mit der Direktion zu vereinbarenden Plan die
Zufahrtswege zum Bahnhof anzulegen, zu befestigen und zu unterhalten. Nach langen Verhandlungen
wurde 1868 der Kaufvertrag zwischen der Eisenbahn-Baugesellschaft und dem Magistrat
abgeschlossen. Der Bahnhof wurde vor dem Rettungstor erbaut. Das Gelände dazu,
17 Morgen groß, hatte die Stadt für 3352 Taler gekauft und der Baugesellschaft
für 1010 Taler überlassen.
Inzwischen waren die Bauarbeiten rasch vorwärtsgekommen. Im Dezember 1866 hatte
man den Bahnhof schon abgesteckt. Der Grundstein zur 1. Weidebrücke wurde am 12.
3. 1867 gelegt; am 17. 3. 1867 wurde mit der Schüttung des Dammes begonnen. Im
Dezember desselben Jahres machte sich die teilweise Verlegung des am Schlachthof vorüberfließenden
Weidearmes notwendig, der in Richtung Wilkau ein Stück am Eisenbahndamm entlang
geführt werden mußte. Anfang Mai 1868 war der Streckenbau nahezu beendet.
Am 17. Mai trafen die beiden von Vossowska und Breslau kommenden Baukolonnen zusammen
und gegen 7 Uhr abends wurde die letzte Schiene in der Nähe des jüdischen
Friedhofes eingelegt.
Drei Tage später traf morgens gegen 10 Uhr der erste Zug in Namslau ein. Die festlich
geschmückte Lokomotive fuhr unter dem Donnern der Böller, den Hochrufen der
zahlreichen Zuschauer und den Klängen der Musik unter Ehrenpforten hindurch zu
dem im Fahnen- und Girlandenschmuck prangenden Bahnhof. Hier entstiegen Baurat Grapow
und seine Baumeister dem Zug, begrüßt vom Magistrat und dem Landrat SaliceConteßa.
Nach den Begrüßungen und Ansprachen wurde der denkwürdige Tag durch
ein Frühstück bei Haselbach noch besonders gefeiert. Doch erst am 15. November
1868 konnte die ganze Strecke dem Verkehr übergeben werden. Gleich am ersten Tage
hatten sich zahlreiche Reisende eingefunden, die den ersten aus Breslau kommenden Zug
mit seinen zwölf Wagen voll besetzten. Von nun ab verkehrten täglich drei
Zugpaare, von denen aber nur zwei bis Kreuzburg fuhren. Die Baugesellschaft erhielt
an diesem Tage den Namen: "Rechte Oderufer-Eisenbahn", die dann am 1. Januar
1886 in das Eigentum des Staates überging.
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