Briefumschlag, Stempel Altzedlisch 16.3.45. 15
Absender: Dr. Franz Grothe, (11a) Altzedlisch 317, bei Gerbert, Kr. Tachau, Sudetenland
an
Frau Sophie Gräfin Henckel von Donnersmarck, (13b) Schloß Tagmersheim,
Kreis Donauwörth
Altredlisch d. 15.3.45
Kr. Tachau
Sehr verehrte Frau Gräfin!
Nachdem entschieden ist, daß wir hier bis auf Weiteres Standquartier haben
und für alle eine gewisse Ruhe eingetreten ist, möchte ich nicht verfehlen,
Ihnen unsere Erlebnisse seit der Abreise von Frl. Hermann zu schildern. In Grüssau
mußten wir noch mit unseren Gespannen - 20 vierspännige Wagen- in die Gegend
von Strehlen fahren, um aus dem geräumten Gebiet Getreide zu holen. Kaum zurückgekehrt
sollten wir sofort weitertrecken. Da Pferde und Wagen aber stark überholungsbedürftig
waren, bin ich statt am Montag d. 12. 2. erst am Mittwoch d. 14. 2. losmarschiert.
Da wir einige Wagen stehen lassen mußten infolge kranker Pferde u.s.w., war ich
gezwungen, Gepäck in Grüssau zu lassen u. zwar nicht nur einen Teil meiner
eigenen u. d. mitfahrenden Leute, sondern vor allem das derjenigen, die nicht mehr
beim Treck waren. Das Gepäck, das Frl. Hermann in Grüssau hinterlassen hatte,
habe ich im Kloster deponiert bei Pater Peter.
Ursprünglich wollte ich bei diesem Aufbruch die tatkräftige Frl. Piskau
mit dem Gut Kaulwitz u. Werdin mit den Waldbruchern zu mir heranziehen. Da beide aber
bereits am Montag durch Grüssau kamen, konnte ich nur noch veranlassen, daß
diese beiden ihre Trecks wenigstens vereinten. Ein großer Teil unserer Pferde
war mehr oder weniger hufekrank, so daß ein Teil der Bauern - Filor, Prokot,
Janek u.s.w. - in Grüssau zurückblieb. Von unseren Pferden blieben der Templer
u. die Gitta in Grüssau stehen.
Der Marsch ging nun über Trautenau ins Protektorat - Neupaka, Titschin,
Bakow, Weißwasser - . Die Aufnahme war unterschiedlich, z.T. entgegenkommend
und freundlich, z.T. feindlich und frech. Verpflegung fiel z.T. ganz aus, aber auch
die Gespanne mußten manchmal über Nacht auf der Straße stehen bleiben.
In Dauba hatten wir das erste Quartier wieder im Sudetenland, natürlich genau
dieselben Massenquartiere - pro Person 1 qm etwa - wie bisher. Von hier ging es weiter
über Polepp, Leitmeritz, Lobositz, Trebnitz, Liebshausen, Werberschau, Saaz, Podersam
in den Kreis Luditz, wo wir in den Orten Radolin, Modschiedl, Nebosedl und Zwolle einige
Ruhetage haben sollten, nach dem wir in den Bergen vorher das Letzte aus den Pferden
herausgeholt hatten. Die Quartiere in diesen armseligen Gebirgsdörfern waren menschenunwürdig
- ich habe mehrfach auf dem Wagen genächtigt, denn schlafen konnte man es bei
der Witterung nicht nennen - . Dafür hatten aber die Pferde warme Ställe
und reichlich Heu und Stroh, was im Moment die Hauptsache war. Tüchtige Frauen
verstanden es unter der geschickten Leitung von Frau Schneider, Eckersdorf, die unter
anderen Versprengten bei uns ist, schmackhaftes Essen zu kochen, so daß trotz
allem die Stimmung im Treck gut war. Der Versuch unsere Kreisbauernschaft uns zu mehreren
Rastlagern zu verhelfen mißlang, da die obere Treckleitung offenbar wenig Verständnis
für unsere Lage hatte. Gegen den Willen der diesbezüglichen Bürgermeister
u.s.w. blieb ich trotzdem 3 Tage liegen, damit sich die Pferde etwas erholten.
Der Marsch ging dann am 3.3. auf z.T. bergigen Wegen u. bei Schneesturm über
Thensing, Stift Tepl, Habakladran, Kuttenplan, Plan, Bruck, Gottschau, nach Altsedlisch,
Kr. Tachau. Der Weitermarsch über Praumberg nach Vohenstrauß im Bayrischen
mußte unterbleiben, da
vor uns alle Orte überbelegt waren. Notgedrungen hat man also bis auf Weiteres
den Trecks im Sudetengau Standquartiere angewiesen.
Um den Treck Grambschütz, der noch immer über 600 Personen zählt,
etwas aufzulockern, wurde nach einigen Tagen das Dorf Grambschütz nach Ostrau,
das Gut Reichen nach Purschau u. Wosand u. das Dorf Reichen nach Forstamt Dianaberg
b. Neudorf umquartiert u. dort verhältnismäßig gut untergebracht. Wir
Grambsch. hier in Alt-Zedlisch liegen leider überwiegend in Massenquartieren,
da die Privatquartiere bereits durch Bombenflüchtlinge belegt sind. Ich habe diesmal
den seltenen Vorzug, mit meiner Familie ein kleines Stübchen mit Kochofen, aber
wenig Holz zu bewohnen.
Eine gut funktionierende Gemeinschaftsküche haben wir auch eingerichtet.
Leider sind die Kartoffelrationen knapp.
Die Verlausung besonders der Kinder hält sich in einigermaßen erträglichen
Grenzen, was bei den Schwierigkeiten, Schüsseln, Wannen u. Eimer zu bekommen verwunderlich
ist.
Morgen will ich nach Plan, wo Gut Kaulwitz und Waldbruch liegen, um mal nach dem
Rechten zu sehen. Die Pferdeverluste haben sich trotz aller Anstrengungen, des unzureichenden
Futters (2-3-kg Hafer, 3-4-kg Heu!) u. des rücksichtslosen Einsatzes auch bei
Krankheiten in erträglichen Grenzen gehalten.
Auch die Menschen, selbst alte und gebrechliche Leute haben den Treck gut überstanden.
In Grüssau starben Hoffschulte an einer Lungenentzündung u. der alte
Drost aus Pechhütte, sowie eine alte Frau a. Reichen. In Neupaka starb der Lehrer
Krause u. gestern haben wir die Frau von dem Nachtwächter Götz beerdigt.
Ich will nun versuchen gleich möglichst viel Beschäftigung zu besorgen.
Die Kinder gehen heute zum ersten Male in die Schule.
Die Männer machen seit wenigen Tagen Holz im Walde u. die Frauen haben mit
Waschen u. Flicken zu tun. Die Mädels sind in der Gemeinschaftsküche. Sobald
es die Witterung zuläßt, will ich auf Grund eines Übereinkommens mit
den Besitzern den hiesigen Schloßparks, der ziemlich verwildert ist, richten
lassen. Frau Handryschek freut sich schon auf die Arbeit.
Die Kreisbauernschaft u. Landratsamt Namslau sollen in Luditz liegen. Teile des
Kreises Namslau sollen auch bei Marienbad Quartier haben.
Als Herr Graf mich letzthin in Grüssau besuchte, schlug er mir vor, mit meinem
Treck bis in die Gegend von Donauwörth zu ziehen. Z.Zt. sind meine Pferde zu einem
so großen Marsch nicht in der Lage - sie brauchen etwa noch 3 Wochen Schonung
- und in übrigen scheint es mir zweifelhaft, ob wir dort besser unterkommen und
auch gern aufgenommen werden. Die Aussichten in absehbarer Zeit nach Schlesien zurückkehren
zu können, beurteile ich im Gegensatz zu unseren Leuten äußerst ungünstig.
Aber sie brauchen diese Hoffnungen, um die Stimmung zu halten, während wir uns
an jedem Sonnenstrahl u. und der schönen reizvollen Landschaft freuen u. daraus
neue Kraft schöpfen, denn leicht ist unser Los nicht, da wir überall lästig
sind u. dementsprechend behandelt werden. Aber auch das wird so oder so wieder vorübergehen.
In der Hoffnung daß es Ihnen, sehr verehrte Frau Gräfin, sowie den
Kindern gut geht, grüße ich Sie auch im Namen meiner Frau herzlichst
Ihr ergebener Dr. Franz Groth
Herrn Graf Moy u. Frau Gräfin Moy bitte ich mich zu empfehlen.
Diesen handschriftlichen Brief fand ich im Juli 2007 in alten Unterlagen meiner Mutter.
Für die korrekte Schreibung der Ortsnamen garantiere ich nicht. Sie sollten auf
einer Karte überprüft werden. Für etwaige Erkenntnisse wäre ich
dankbar.
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