Unsere Heldeninsel………

von Bürgermeister a.D. Dr. Ernst L o b e r



"Unsere Heldeninsel", nannten wir sie; wir waren stolz auf sie und wir liebten sie: die Insel am Ausgang des Weidebruchs, die das den Toten des ersten Weltkrieges gewidmete Denkmal trug mit der Inschrift an der Stirnseite: "Unseren Helden".
Ich weiß: Man spricht und hört heut nicht gern von Helden. Als Soldat beider Weltkriege weiß ich auch, daß gewiß nicht jeder der Millionen Gefallenen ein Held war. Daß aber die deutsche Wehrmacht beider Kriege in ihrer Gesamtheit jahrelang einen heldenhaften Kampf gegen eine erdrückende Übermacht an Menschen und Material gekämpft hat, wird wohl überall anerkannt, auf jeden Fall von den Soldaten unserer damaligen Kriegsgegner.
Es war nach meiner Erinnerung übrigens auch nicht so, daß die Stätte des Gedenkens an die Kriegstoten Heldeninsel genannt wurde wegen der Inschrift am Denkmal. Diese Bezeichnung war vielmehr in Übung, lange bevor das Denkmal errichtet wurde. Wer sie geprägt hat, weiß ich nicht. Sie war eben da und war bestimmend für die Wahl der Denkmalsinschrift.
Die andere heut so oft aufgeworfene Frage: Wozu Gefallenenehrung? Hat sie noch einen Sinn? Hatte sie überhaupt je eine Berechtigung? Ich meine: Ob ein Tun oder eine Haltung Sinn hat oder nichts läßt sich nur aus der jeweiligen Einstellung des Menschen zu den Zeitverhältnissen und dem Zeitgeschehen ihrer Tage beurteilen. Zur Zeit des ersten Weltkrieges war im Bewußtsein der Menschheit der Krieg ei unvermeid­ bares, immer wiederkehrendes Unheil, gegen das man sich schützen und wehren mußte, so gut man konnte.
Nicht anders war es zu Beginn der Menschheitsgeschichte, als Familien, Sippen und Stämme um das tägliche Brot kämpften im Kampfe Mann gegen Mann, bei dem offenkundig wurde, wer der bessere Kämpfer, der Held, war. So blieb es im Grunde trotz aller Veränderungen durch die Jahrtausende bis in die Gegenwart; denn auch in unseren Tagen brachte trotz aller modernen Waffen mit ihrer Fernwirkung vielfach erst oder nur der Kampf Mann gegen Mann, der Nahkampf, die letzte Entscheidung. Es will mir durchaus "menschlich", d.h. der menschlichen Natur entsprechend erscheinen, daß immer wieder die Überlebenden die Toten ehrten und ihnen dankten in dieser oder jener Form, und auch durch Denksteine und Mahnmale .
Es kann sein, daß es einmal ein Leben auf dieser Erde ohne Kriege geben wird. Das glauben oder hoffen wir heute angesichts der Zerstörungskraft der Atomwaffen. Vor einem halben Jahrhundert aber ging die allgemeine Überzeugung noch dahin: Kriege hat es immer gegeben und wird es immer geben. Darum war es Brauch in den Städten und Dörfern, den gefallenen Söhnen, deren Zahl niemals zuvor so gewaltig gewesen war, ein sichtbares Zeichen des Gedenkens zu setzen.
Wie vielerorts ist auch in unserem Namslau der Anstoß dazu schon bald nach Kriegsende aus der Bevölkerung gekommen. Zu Beginn meiner Tätig­keit hatte der Plan eines Kriegerdenkmals am Ende des Weidebruches oberhalb der Promenade nach dem Stadtpark bereits feste Formen angenommene Es ist mir nicht bekannt, wer als erster diesen Gedanken ausgesprochen hat. Ich weiß nur, daß im Jahre 1923 vor allem die Namslauer Ortsgruppe im "Heimatverband Schlesien" Verfechter des Planes war und daß an ihrer Spitze vornehmlich 3 Mitbürger sich für seine Verwirklichung einsetzten: Schornsteinfegermeister Arthur H o s e m a n n , Kürschnermeister Erich Kusche und Kaufmann Viktor K u 1 o z i k , der allerdings schon bald von Namslau verzog.
Sicher waren das nicht die einzigen Verfechter des Gedankens, mir sind aber weitere Namen nicht mehr in Erinnerung. Vielleicht kann der eine oder andere meiner Leser meinem Gedächtnis nachhelfen, so daß dabei auch der Name desjenigen Mitbürgers bekannt wird, auf den der Gedanke der "Heldeninsel" zurückzuführen ist.
Damals sah die Landschaft oberhalb der Schleusenbrücke nicht so aus, wie wir sie aus den letzten Jahren in Erinnerung haben. Die Weide führ-te als Niederungsfluß immer viel Schlamm mit sich, der sich Jahr für Jahr vor dem Promenadendamm absetzte. Das Flußbett wurde immer flacher und morastiger, der schlammige Boden begünstigte das Ansetzen von Wasserpflanzen aller Art, die an vielen Stellen aus dem Wasser herausragten und den Kristallisationspunkt für kleine Inselchen bildeten. Die Ufer der Weidewiesen wuchsen immer weiter in das Wasser hinein, an ihren Rändern schoss das Schilf üppig empor, und alles zusammen begünstigte die Ansiedlung von Mücken, die sich sommers in dichten Schwärmen über Wasser und Wiesen tummelten und den Winter unangefochten im dichten Uferschilf überstanden. Da der Gefahr einer vollständigen Verkrautung und Versumpfung des Flußbettes durch die alljährliche "Weideräumung" nicht begegnet werden konnte, entschloß sich die Stadt nach Beendigung des Krieges zur Durchführung umfangreicher, jährlich wiederkehrender Wasserarbeiten, die auch der Flußbadeanstalt zugute kommen sollten. Mit Hilfe von langen Pfählen und Faschinen wurden feste Ufer geschaffen, ein eigens zu diesem Zweck angeschaffter Bagger vertiefte die Flußsohle und das Baggergut (Schlamm, Wurzeln, Steine, Pflanzen u. a.) wurde hinter den Uferwänden angeschüttet.
Schon nach 2-3 Jahren zeigte sich ein Erfolg der Arbeiten, nach weiteren 2-3 Jahren schimpfte niemand mehr über "diesen neuen Unfug" und nach einer Reihe weiterer Jahre bot sich dann das Bild, das wir in der Erinnerung haben: weite, saubere Wasserflächen, feste Ufer, schöne Wiesen, mit Erlen bestandene Buschflächen, der sonnige Sandstrand und dahinter die schattige Liegewiese auf der Insel gegenüber der Badean-stalt , die mit Erlen bestandene Insel an der Böhmwitzer Grenze und die Heldeninsel.
In der ersten Zeit wurde natürlich recht heftig über den "neuen Unfug" geschimpft, sowohl im Rathaus wie draußen. Die "parlamentarische Opposition" richtete sich hauptsächlich gegen den Baudezernenten, den Ratsherrn Oscar T i t z e , und sie entzündete sich daran, daß er den Bagger gekauft hätte, ohne vorher die Stadtverordneten-Versammlung zu fragen.
Natürlich wurde der Bagger in der ersten Zeit gebührend bestaunt und bewundert. Ob es wahr ist, weiß ich nicht, jedenfalls wurde erzählt: Eines Tages hätten Spaziergänger auf der Schleusenbrücke einen Mann beobachtet, der unter ständigem Kopfschütteln leise vor sich hingemurmelt habe. Als er nach einer Stunde noch immer so dastand, hätten die Spaziergänger ihn gefragt, ob ihm etwas fehlte. Er hätte abgewinkt und weiter gemurmelt. In diesem Augenblick hätte der Bagger aufgehört zu arbeiten und der Gefragte hätte gesagt; "Entschuldigen Sie, aber ich wollte mal zählen, wieviel Eimer der Bagger hat. Ich hätte das nie für möglich gehalten, es sind 734."
So sah es aber aus, als die Insel, die das Denkmal tragen sollte, aus dem Hasser herauswuchs. Bei niedrigem Wasserstand war sie als flacher Rücken zu erkennen, der nur wenig über das Wasser hinausragte und dessen Umrisse sich im Wasser verloren. Manchmal zeigten sich nur einzelne Buckel und bei Hochwasser konnte man nur ahnen? bestenfalls an der Strömung oder der Färbung des Wassers erkennen, daß dort etwas emporwuchs. Es gehörte schon Mut dazu, den Gedanken zu fassen und zu vertreten, an dieser Stelle ein Denkmal zu errichten. Es hat auch nicht an warnenden Stimmen gefehlt, die das Vorhaben als abwegig erklärten und ihm ein schlimmes Ende voraussagten. Außerdem wurde eingewendet, ein Kriegerdenkmal gehöre an eine belebte Stelle, z.B.auf den Ring oder an eine Durchgangsstraße, wo es von vielen Men-schen gesehen werde, nicht aber in eine so wenig begangene Gegend außerhalb der Stadt.
Der Gedanke der Denkmalsinsel muß aber irgendwie faszinierend gewirkt haben, denn er fand nicht nur überwiegende Zustimmung, sondern vor allem ungezählte freiwillige Helfer in allen Schichten der Einwohnerschaft . Die Stadt ließ von der Promenade am "Eierbergel" eine Brücke nach der Insel schlagen und Feldbahngleise darüber legen und nun wurde von überall her Asche, Müll, Bauschutt, Erde und anderer Abfall herangefahren und herangekarrt und in der guten Jahreszeit waren fast alltäglich, besonders nach Feierabend, viele hilfreiche Hände damit be-schäftigt, das Material auf die Insel zu schaffen und dort zu verteilen.
Vereine, Verbände, Jugendgruppen, Betriebe und Einzelpersonen beteiligten sieh daran, es wurde wirklich eine Gemeinschaftsarbeit, an der die ganze Stadt Anteil nahm.
Zuerst erschien es allerdings lange Zeit, als würde die Arbeit vergeblich bleiben. Eine Kipplore nach der anderen wurde auf der Insel ent­ laden, immer wieder tuckerte der Bagger und brachte das Baggergut nach der Insel, aber sie wollte und wollte nicht aus dem Wasser herauswachsen. Im Gegenteil! Wiederholt brachen an verschiedenen Stellen die Faschinenwände zusammen, das Ufer rutschte ins Wasser und mit ihm das mühsam auf die Insel gebrachte Aufschüttungsmaterial.
Doch schließlich wurden Arbeit, Mühe und Ausdauer belohnt: Nachdem eine doppelte Faschinenwand angelegt worden war, wuchs die Insel zusehends immer mehr aus dem Wasser heraus und eines Tages war es dann soweit, daß sie auch bei Hochwasser nicht mehr überflutet wurde. Die Oberfläche wurde planiert, mit Mutterboden abgedeckt und mit Gras eingesät.
Nun hätte der Bau des Denkmals beginnen können, aber es fehlte an einem geeigneten Entwurf, weil man sich über die Gestaltung des Denkmals nicht recht einig werden konnte. Außerdem tauchten Finanzierungsschwierigkeiten auf. Es gab damals zwar reichlich Geld, jedenfalls in Form der "Papiermark", und manchem kam es nicht darauf an, für den guten Zweck einen Hunderter oder auch mehr zu spenden, die fortschreitende Inflation ließ aber die Rücklagen letzten Endes immer mehr zusammenschrumpfen oder richtiger gesagt: wertloser werden.
Man suchte nach einer wertbeständigen Anlage für die gespendeten Beträge und glaubte, sie schließlich darin gefunden zu haben, daß man Zement kaufte, den man später beim Bau des Denkmals verwenden oder gegen anderes Material eintauschen konnte. Doch auch dabei ergaben sich Schwierigkeiten, und zwar nach meiner - nicht mehr ganz zuverlässigen Erinnerung in der Frage der geeigneten Lieferung für einen längeren Zeitraum.
Der Heimatverband, in dessen Händen nach wie vor die Denkmalsangelegenheit lag, entschloß sich daraufhin, mit Hilfe des eingelagerten Zements im Mittelpunkt der Insel einen großen Betonblock zu versenken als Fundament für das spätere Denkmale. Dagegen wurden zwar Bedenken laut, daß es misslich sei, einen Sockel zu errichten, bevor man wisse, wie das Denkmal aussehen und an welcher Stelle der Insel es stehen solle.
Es blieb aber damals wohl nichts anderes übrig, als so zu verfahren. Inzwischen war nämlich die Inflation zu Ende gegangen, niemand hatte Geld, jeder aber genug damit zu tun, sich selbst über Wsser zu halten. Die veränderten Verhältnisse bekam natürlich auch der Heimatverband zu spüren, der im übrigen seine Auflösung betrieb, weil er seine vor der oberschlesischen Abstimmung übernommenen Aufgaben als erledigt betrachtete. Aus diesem Grunde bat er die Stadt, die Denkmalsangelegenheit zu übernehmen und zu Ende zu führen.
Der Magistrat glaubte, dieser Bitte entsprechen zu sollen. Er war der Ansicht, daß an der Wahl des Standortes für das Denkmal festgehalten werden sollte angesichts des großen Echos, das dieser Plan gefunden hatte und im Hinblick auf die bisher geleisteten umfangreichen frei­willigen Vorarbeiten.
Die Stadtverordneten-Versammlung teilte diese Auffassung und meinte, daß die Denkmalsfrage nun möglichst rasch zu einem Abschluß gebracht werden solle, da seit Ende des Krieges schon eine Reihe von Jahren vergangen sei. Tatsächlich hatte damals im Jahre 1925 die Mehrzahl der Städte und auch eine ganze Reihe von Dörfern bereits ihr Kriegerdenkmal.
Es war ein schöner, sonniger Frühlingstag im Jahre 1926, als Herr Architekt Thomas aus Breslau zu mir ins Rathaus kam und wir zu­sammen mit dem Ratsherrn T i t z e zur Insel gingen. Wir erzählten ihm unterwegs die Vorgeschichte und auf der Insel sagte Herr Thomas nach kurzer Umschau, es sei ein schöner Gedanke, das Denkmal an dieser Stelle zu errichten, und ein reizvoller Auftrag, es zu entwerfen.
Er wisse auch schon, wie es aussehen solle: angesichts der von der Insel aus sichtbaren Baudenkmäler der Vergangenheit, nämlich der kath. Kirche, der Stadtmauer und des Krakauer-Torturmes sollte es kein figürliches Mal werden, sondern ein aus Backsteinen bestehendes turmartiges Bauwerk, überragt von einem als Mauerkrone ausgebildeten Feuerbecken.
Als Standort käme aber nicht die Inselmitte in Frage, sondern nur der ostwärtige Inselrand, und zwar auch deswegen, um die gesamte Fläche als Aufmarschplatz verwenden zu können.
Diese Vorschläge und der auf ihrer Grundlage angefertigte Denkmalsentwurf fanden die Zustimmung der städtischen Körperschaften und wurden auch in der Öffentlichkeit mit viel Beifall aufgenommen. Lediglich die Wahl des rückwärtigen Uferrandes als Standort des Denkmals begegnete dem durchaus verständlichen Einwand, daß damit ein gut Teil der Arbeit des Heimatverbandes, viel Idealismus, Gemeinschaftsgeist und Opferbereitschaft umsonst vertan seien. Das war gewiß ebenso richtig wie bedauerlich, aber letzten Endes fand man sich auch in den Kreisen des früheren Heimatverbandes damit ab in der Erkenntnis, daß die Auffassung des Architekten über den Standort des Denkmals richtig sei.
Es wurden aber auch noch einmal die Stimmen derer laut, die vor dem unsicheren Baugrund warnten und meinten, wenn das Denkmal schon an dieser Stelle errichtet werden sollte, dann nur in der Mitte der Insel, nicht dagegen am Ufer. Diesem Einwand begegnete Herr Thomas mit der Erklärung, daß die Gründung keine unüberwindlichen technischen Schwierigkeiten bringen könne, sondern höchstens Mehrkosten.
Er schlug vor, eine Spezialfirma mit der Vornahme von Bohrungen und der Ausarbeitung von Vorschlägen für das Fundament zu beauftragen. Diese -eine Breslauer Firma, deren Name mir nicht mehr erinnerlich ist - machte auf Grund des Ergebnisses der Bohrungen den Vorschlag, das Denkmal auf einen breiten, nach meiner Erinnerung 20 oder 25 cm starken Beton­kranz aufzumauern, der auf 4 je 9 Meter langen, in den Boden eingerammten Betonpfählen ruhen sollte.
Vor Beginn der Bauarbeiten war nun noch folgendes Problem zu lösen: Der im Mittelpunkt der Insel versenkte Betonklotz ragte etwa 10 - 15 cm über die Oberfläche hinaus und mußte wenigstens soweit beseitigt werden, daß der vorgesehene Rasen anwachsen konnte. Wie aber sollte das geschehen? Mit Hammer und Meissel war dem Block wohl nicht beizukommen und gegen eine Sprengung wurden lebhafte Bedenken geäußert bis zu der Befürchtung, es könne möglicherweise die ganze Insel auseinanderfliegen.
Und noch einmal entzündete sich an diesem Problem die Debatte, ob es nicht doch ratsamer sei, das Denkmal in die Mitte der Insel auf das vorhandene Fundament zu setzen. Da besann man sich, daß man doch Soldaten in den Mauern der Stadt hatte, die eigentlich in der Lage sein müßten, eine solche Sprengung fachmännisch und gefahrlos auszuführen.
Der Standortälteste, der damalige Rittmeister, spätere Generalmajor L e u z e , war in seiner entgegenkommenden, hilfsbereiten Art auch sofort bereit, ein Sprengkommando zu stellen, das dann auch seine Auf­gabe ebenso gewissenhaft wie fachgerecht löste.
Nun konnte der Bau des Denkmals vor sich gehen. Das Fundament wurde in der geschilderten Weise von der Breslauer Firma hergestellt, das Mauerwerk aus dunklen Klinkern von der Firma U r b a n & N e r 1 i c h und die Kunstschmiedearbeiten, nämlich Schwerter, Feuerbecken und Kranzhaken von der Firma Hermann A u s t .
Bei den inzwischen angelaufenen Vorbereitungen für eine würdige Ent­hüllung des Denkmals bewegte mich in erster Linie der Gedanke, eine Form zu finden, die niemand Anlaß geben konnte, der Feier fernzubleiben. Das war gar nicht so einfach. Wie ich schon in anderem Zusammen­hange geschildert habe, waren damals die politischen Gegensätze sehr viel schroffer, unversöhnlicher und persönlicher als nach dem zweiten Weltkrieg. Wer die Zeit nicht selbst erlebt hat, kann sich kaum eine rechte Vorstellung von den Schwierigkeiten machen, die es bei einer solchen Vorbereitung zu überwinden galt.
Während eine Gruppe forderte: wenn das nicht so und so gemacht wird, kommen wir nicht, machte eine andere ihre Teilnahme von der entgegengesetzten Voraussetzung abhängig« Eine Gruppe wollte nur dann mitmachen, wenn eine bestimmte andere auch eingeladen würde. Gerade gegen deren Teilnahme aber verwahrte sich wieder eine andere Gruppe« Ich war wirklich heilfroh, als alles geregelt schien und auch die beiden großen Soldatenverbände "Stahlhelm" und "Reichsbanner" ihre Teilnahme zugesagt hatten, ohne an der Beteiligung des anderen Anstoß zu nehmen. Es war für die Denkmalsweihe ein Sonntag im Juli 1927 vorgesehen und alle Vorbereitungen waren getroffen, als mich kurz vor dem festgesetzten Termin die Nachricht erreichte, der basteiartige Vorbau am Denkmal zeige einen durchgehenden Fugenriß bis in die anstoßenden Stufen hinein! Sollten die Warner also doch recht behalten?
Die sofort zusammengerufenen Sachverständigen meinten jedoch übereinstimmend, es handele sich um eine belanglose Sache. Fast jedes neue Bauwerk zeige solche Setzrisse. Sie seien ungefährlich und ließen auch keinen Schluß auf die Standfestigkeit des Denkmals selbst zu? da der Vorbau außerhalb des das Denkmal tragenden Sockels aufgemauert sei. Das erschien mir einleuchtend.
Umso größer war mein Schrecken, als mir am Sonnabend vor der Enthüllung mitgeteilt wurde: das Denkmal stellt schief. Ich lief natürlich sofort zur Insel und mußte feststellen, daß die alarmierende Nachricht stimmte. Es sah zwar nicht bedrohlich aus, aber es war deutlich zu sehen, daß das Denkmal sich nach Südosten, nach der Bockpromenade zu gesenkt hatte. Was nun? Es blieb wohl nichts anderes übrige als die Denkmals­weihe , die nicht mehr abgeblasen werden konnte, vorübergehen zu lassen in der Hoffnung, daß alles gutgehen würde.
Diese Hoffnung erfüllte sich» Der Sonntag war einer der heißen, flimmernden Sommertage, wie unser Klima sie uns sehr oft bescherte, die Beteiligung war außergewöhnlich stark und die Feier verlief programmgemäß. Die Insel konnte die Teilnehmer bei weitem nicht fassen, ein lich­ter Kranz von Menschen umsäumte sie auf der Promenade von der Bockecke über die Pfennig-Brücke, das Eierbergel und die Sichla-Höhe bis zur Schleusenbrücke. Am Abend wurde erstmals in dem Feuerbecken ein Feuer entzündet, das noch einmal eine große Menschenmenge auf die Beine brachte. Am nächsten Morgen wurde, obwohl sich das Denkmal nicht weiter gesenkt hatte, der Zugang zur Insel vorsichtshalber gesperrt. Es war gar keine schöne Situation, und ich konnte mir vorstellen, daß hier und da und dort sehr erheblich geschimpft wurde über "die verrückte Idee, das Denkmal in den Sumpf zu setzen" und daß es nicht an Stimmen fehlte die sagten: das habe ich mir gleich gedacht!
Nun, es blieb wohl nichts anderes übrig als der Versuch, das Denkmal wieder ins Lot zu bringen. Architekt Thomas, der bei der Denkmalsweihe sich von dem Zustand mit eigenen Augen überzeugen konnte, hatte natürlich sofort die Breslauer Firma alarmiert, die unverzüglich eine Be­sichtigung vornahm und sich ohne weiteres bereit erklärte, das Denkmal auf ihre Kosten wieder in die richtige Lage zu bringen.
Das glückte, ich möchte sagen, auf den Millimeter, und zwar auf fol­gendem Wege: zu beiden Seiten des Betonpfahles, der offenbar abgesackt war, wurden zwei noch längere Pfähle eingerammt, deren Köpfe mit einem breiten Betonband verbunden wurden, das leicht unter der Südostecke des Betonkranzes verlief.
Das Experiment ging von der Annahme aus, bei der Senkung sei der Betonkranz unversehrt geblieben, was die Sachverständigen daraus schlossen, daß das Mauerwerk des Denkmals keine Risse aufwies. Das Abfangen der Südostecke des Betonkranzes würde ein weiteres Absinken des Betonpfahles verhindern und das Denkmal würde infolge des eigenen Gewichtsdruckes auf die anderen Pfähle in die richtige Lage zurückkehren. So muß es wohl auch vor sich gegangen sein, denn das Denkmal stand nunmehr unverrückbar fest .
Die Insel wurde absichtlich von gärtnerischen Anlagen freigehalten bis auf die Uferbepflanzung mit Trauerweiden, die sich überraschend schnell entwickelten und schon nach wenigen Jahren mit ihren dichten, ins nasser hängenden Zweigen die ganze Insel abschirmten, so daß man sich in einem rings umschlossenen Raum wähnen und ungestört seinen Gedanken überlassen konnte.
Hier herrschte immer wohltuende Stille, und die Zahl derjenigen wuchs,die die Insel am Ausgang unseres Weidebruchs als würdige Stätte des Gedenkens an die im Weltkriege gefallene Söhne unserer Stadt liebten. Es gab wohl kaum jemand, der sich dem besonderen Reiz dieser Anlage entziehen konnte.
Viele auswärtige Besucher beneideten uns um diese Weihestätte. Und wenn an den Sommerfesten der Vereine und Verbände der Festzug durch das Wassertor über die Promenade nach dem Stadtpark marschierte, die Bochnigsche Kapelle an der Spitze des Zuges angesichts des Denkmals die Marschmusik abbrach und "das Lied vom guten Kameraden" spielte, da gab es wohl niemand, der nicht des Krieges und seiner Opfer gedacht hätte; und wer selbst Soldat des ersten Weltkrieges gewesen war, erinnerte sich wohl so manches Kameraden, mit dem er einst marschiert war, mit dem er Not und Brot geteilt, der sich als guter Kamerad erwiesen hatte, weil auf ihn Verlaß war, und der nun nicht mehr mitmarschieren konnte im Frieden und bei Festen, weil er sein Leben hingegeben hatte, damit wir anderen unser Leben behalten konnten.
Ich bin sicher, daß in diesen Augenblicken gar mancher der Festzugsteilnehmer im Stillen der Wunsch und die Hoffnung bewegte, es möge nun, wenn schon nicht für immer, dann wenigstens für lange Zeit Frieden bleiben.
So war unsere Heldeninsel uns Denkmal und Mahnmal zugleich. So ist sie uns in Erinnerung geblieben, auch wenn unsere Augen sich ihrer nicht mehr erfreuen dürfen. Und so wird sie uns weiter in Erinnerung bleiben, auch wenn das Mal nicht mehr steht.
Die es abreißen ließen und aus der uns teuren Weihestätte einen Vergnü­gungsplatz machten, haben sicher nicht bedacht, daß letzten Endes die deutschen Soldaten des ersten Weltkrieges es waren, die die erste Vor­aussetzung für ein selbständiges Polen auf dem alten polnischen Boden schufen dadurch, daß sie die zahlenmäßig weit überlegenen russischen Heere von diesem Boden vertrieben und bis Kriegsende fernhielten.
Heute sieht nach den Berichten und Bildern, die uns aus der Heimat er­reichten, die Landschaft am Ausgang des Weidebruchs etwa wieder so aus, wie sie vor rund 50 Jahren ausgesehen hat, ehe ihre planmäßige Ausgestaltung begann. Dazu ließe sich wohl manches sagen. Neben vielem ande­ren aber vielleicht auch das:
Alles Geschehen auf unserer Erde verläuft in Wellenlinien.


Namslauer Heimatruf Nr.53/1969