Unser Landsmann Arthur Kalkbrenner hat noch folgende Erzählung aus den Jahren
1830 bis 1845 von Johannes Greve im Heimatkalender 1958 unseres Patenkrelses Eusklrchen
veröffentlicht:
Bauer Hillmann in Hönigern auf dem rechten Oderufer war ein wohlhabender Mann.
Und ein tüchtiger Landwirt. Seine zehn Hektar fetten Lehmboden und fünf Hektar
Wiese bewirtschaftete er mustergültlgj namentlich einen Teil seiner Wiesen hatte
er aus sauerm Sumpfland und wüstem Rodefeld auf die gegenwärtige ertragreiche
Höhe gebracht: Hans Heinrich Hillmann wurde deshalb in ganz Hönigern der
Wiesen-Hillmann" genannt.
Überhaupt war bei allen Hillmann-Leuten ein solches Namsensanhängsel üblich.
Aber auch notwendig! Denn hier im Dorf wohnten von 114 Familien über zwei Dutzend,
die Hillmann hießen; wie sollte man die sonst auseinanderhalten! Da gab es einen
Linden-Hillmann, einen Nußbaum-Hillmann, einen Uhren- und einen Trompete Hillmann,
einen Schaf-, einen Bock- und einen Ochsen-Hillmann!
Auch in den Handwerkerberufen des Dorfes fehlten sie nicht: da waren der Hillmann-Schuster,
der Hillmann-Schneider und der Hillmann-Dachdecker vertreten. Die luftige Berufshöhe
des letzteren wurde aber noch durch einen übertroffen: den Hillmann-Scholzen.
Die Hillmannsche Sippe stellte das Oberhaupt der Gemeinde! Nach seinem König hieß
der Erbscholtiseibesltzer Hillmann: Friedrich Wilhelm.
Doch bei der Ehre fehlte nicht der Spott: Dicht neben den stattlichen Gebäuden
des Hillmann-Scholzen stand das kleine Haus des Samthosen-Hillmann". Das
war der kleinste Bauer in Hönigern. Der hatte nur drei Hektar und war eigentlich
Rademacher; aber seine englischen Manchesterhosen trug er Woche und Sonntag; diese
Mode hatte ihm den Spottnamen eingetragen, Trotzdem nahm der Samthosen-Hillmann niemals
das Geringste übel, war stets vergnügt, Jedermann gefällig und überall
beliebt.
Nicht so gut erging es dem Nußbaum-Hillmann. Obwohl der prächtige alte Nußbaum
vor seinem Hofe eine Zierde des Dorfes war, schimpfte er wie ein Rohrspatz und kollerte
wie ein Truthahn, wenn man ihn bei seinem Spitznamen rief. Desto häufiger geschah
es. Da riß unserem Nußbaum-Hillmann der Geduldsfaden: kurz entschlossen
hackte er scheinen schönen Nußbaum um! Doch ... er hatte nicht mit dem unverwüstlichen
Mutterwitz seiner Mitbürger gerechnet; umsonst hatte er seinen Hof und das ganze
Dorf verschandelt, denn von nun an nannte man ihn den abgehackten Nußbaum-Hillmann"..
Besser in ihre Lage fanden sich der Bock-HIllmann, der Schaf-Hillmann und der Ochsen-Hillmann.
Das Lob ihrer vorzüglichen Zuchttiere färbte auf die Züchter ab.
Der Trompeten-Hillmann verschaffte sich seinen Nebenverdienst durch Blasen: zu Hochzelten
und allen anderen Festlichkeiten mußte er aufspielen. Ungeachtet dessen war er
sehr kirchlich. Aus Liebe zur Musik und zur Gemeinde blies er unentgeltlich nach beendigtem
Gottesdienste vom Kirchturme herab Jeden Sonntag einen Choral und an hohen Festtagen
drei.
Sein Nachbar, der Uhren-Hillmann, war keineswegs ein Uhrmacher, er war ein Bauer wie
die meisten seiner Namensvettern. Aber Schicksalsschläge hatten den fleißigen
Mann häufig betroffen. Mehrmals war er verheiratet gewesen und hatte nacheinander
seine Frauen durch den Tod verloren. Darüber war er alt geworden, und jetzt hatte
er die fünfte. Von Kindern war ihm nur eine Tochter geblieben, die auswärts
gut verheiratet war. Er selbst aber hatte von Jeder seiner Frauen eine Wanduhr geerbt,
auf schlesisch: Seeger". So besaß er mit der seines Großvaters
und mit seiner eigenen deren sechs. Und alle mußten In Gang gehalten werden,
das war für den Uhren-Hillmann unumstößliche Tradition. So glaubte
man beim Eintritt In seine Bauernstube sich tatsächlich in einen Uhrmacher laden
versetzt.
Von den Hillmann-Handwerkern waren außer den drei im Dorfe selbst befindlichen
noch zwei weitere In den zu Hönigern gehörigen Weilern Saabe und Sterzendorf
vertreten: der Hillmann-Schmied und der Hillmann-Schlosser.
Nur der Tischler im Dorf schlug aus der Art: er machte die Hi11mann-Mode nicht mit;
er hieß Fritz Konschack. Da er gern einen Likör genehmigte, wurde der Konschack-Tlschler
kurzweg Kognak-Tischler" genannt.
Schlimmer erging es dem Hauptlehrer Reichert, als er nach langjährigem Schuldienst
in Hönigern mit dem Titel Konrektor" In die Kreisstadt Namslau versetzt
wurde. Seine gelegentliche Vorliebe für echten Wünschelburger Korn hatte
ihm die Umwandlung seines Titels In Korn-Rektor" eingetragen. Auch sonst
hatte er seine Eigentümlichkeiten. Als sein Sterzendorfer Kollege, der alte Lehrer
Leib, gestorben war, brachte Reichert es fertig, von den Schulkindern am Grabe das
Kirchenlied singen zu lassen: Nun laßt uns den Leib begraben!"
Jetzt nach der Versetzung des Kantor Reichert hatte die verwaiste Schule von Hönigern
einen tüchtigen Hauptlehrer erhalten, der den Dienst an den 227 Schulkindern allein
schaffte, ohne Hilfskraft: Heinrich Tschampel, bisher zweiter Lehrer in Lehmwasser
im oberen Wistritztal. Der war ein Kind der Berge und eng befreundet mit dem schlesischen
Mundartdichter in Breslau Karl von Holthey. Lehrer Tschampel selber dichtete auch,
Zum Beispiel hatte er ein Liedchen verfaßt, welches das Lieblingslied . des ganzen
Dorfes geworden war. Besonders der Wiesen-Hillmann zitierte es immer wieder. Hönigern
war stolz auf seinen Schullehrer, Herrn Kantor Tschampel.
Den Bauern war Heinrich Tschampels Lied so recht aus dem Herzen gesungen, es traf den
Kern Ihres Berufes; es lautete;
Sunntignoochmitts.
Der Bauer spricht: Man hat keine Ruh,
Die ganze Woche geht's immerzu:
Am Montag schon, ganz früh, so um viere,
Da pocht's und poltert's gar sehr an die Türe,
Und dann geht die Zucht und die Schinderei
Bis in den späten Sonnabend `nei!
Doch Sonntagnachmittags - da ist man fein `raus,
Da kann man in Ruh den Kaffee lappern
Und stundenland mit den Nachbarn plappern.
Drum mein' ich's nur immer mit dem Alten Fritz:
Der schönste Tag ist doch ... Sunntignoochmitts!"
Das war echte Volkspoesie: gerade heute, am Sommersonntag", empfand es Tschampels
Bewunderer und Duzfreund, der Bauer Hans Heinrich Hillmann, genannt Wiesen-Hillmann.
Auf seinem Hofe ging es heut, am Sonntag Laetare, dem schlesischen Sommersonntag, der
den Frühling um den 21. März herum einläutete, gar lebhaft zu. Die ersten
Schulkinder hatten sich in aller Frühe auf seinem Hofe eingefunden, um auch heute
wieder nach tausendjähriger Sitte das Sommersingen" zu beginnen. Der
Wiesen-Hillmann und seine Frau legten schnell ihre Gaben: die Eier, die Pfefferkuchen,
die Bretzeln, genannt Begeln", und die schönen weißen Semmeln
zurecht: Nun kann's losgehen!" Und schon tönte es von hohen dünnen
Kinderstimmen über den Zaun:
Rot Gewand, rot Gewand, schöne grüne Linden Suchen wir, suchen wir,
bis wir welche finden."
Erwartungsvoll blickten drei Dutzend Kinderaugen zum Bauernhaus auf. Regte sich da
nicht etwas hinter den Vorhängen?
Rote Rose, rote Rose blüht auf einem Stengel ..."
hallte es weiter. Da erschien der Wiesen-Hillmann erfreut am Fenster. Sofort schmetterte
es von draußen herein:
Der Herr ist schön, der Herr ist schön, die Frau ist wie ein Engel!"
Auf diese faustdicke Schmeichelei hin mußte auch Frau Hillmann sich blicken lassen;
sie trat unter die Haustüre.
Frau Hillmann geht im Haus herum,
Sie hat die schönste Schürze um,
`ne Schürze mit `m Bande:
Sie ist die Schönst' im ganzen Lande!"
Aber noch einmal mußte der Hausherr selber herhalten:
Herr Hillmann sitzt dort an der Wand,
Er hat den Geldsack in der Hand,
Er wird sich wohl bedenken,
Zum Sommer uns was schenken!"
Krach, da sauste eine Tüte voll Dreipfennigstücke auf das Pflaster vor der
Haustür mitten unter die frohen Kinder, die sich jubelnd um die Menge der kleinen
Münzen balgten. Der glänzende Erfolg feuerte die DorfJugend weiter an, nun
nahmen sie wieder die Hausfrau vor:
Die goldene Schnur läuft um das Haus,
Die schönste Hausfrau kommt heraus
Am Sonntag, wenn sie früh aufsteht
und in die liebe Küche geht
Mit ihrem grüne Rocke,
Geschmückt wie eine Tocke (Puppe),
Sie wird sich wohl bedenken,
Zum Sommer uns was schenken!"
Dieser langen Leistung folgte schneller Lohn;"die Mädel hielten ihre Schürzen
auf, die Jungen ihre Rändzlein: Frau Anna Paula Hillmann teilte 36 Stück
prächtige Eier aus, für jedes Kind zwei. Der fröhliche Lärm hatte
den Sohn des Hauses geweckt; in Erinnerung an seine eigene Schuljugendzeit trat er
mit einem Korbe voll Bretzeln und Pfefferkuchen vor die Tür. Auf der Stelle schallte,
es ihm entgegen:
Der Sohn, der hat `nen hohen Hut,
Er ist der Nachbartochter gut,
Er möcht' sie gerne küssen ....
Di6e Mutter soll's nicht wissen!
Er wird sich wohl bedenken,
Zum Sommer uns was schenken!"
Nein, der Hillmann-Frltz bedachte sich nicht lange: mit vollen Münden teilte er
restlos die Semmeln und die Begeln und die Pfefferkuchen unter die muntere Schar. Es
stimmte Ja alles! Schon lange war er mit Nachbars Friedet versprochen. Vielleicht konnten
ihm diese Kinder mit ihrem Kantor Tschampel noch in diesem Sommer in der Kirche zur
Hochzeit singen!
Und nun kam der Dank und Segenswunsch der beglückten Jungen und Mädel mit
der feierlichen, uralten, schlesischen Winteraustreibung zum Sommersonntag",
zum Beginn des Frühlings, zum freudenreichen Sonntag Laetare":
Den Winter haben wir vertrieben;
Den Sommer bringen wir, den lieben,
Den Sommer mit den Maien
Und Blümlein mancherleien,
Den Blüten mancher Zweigelein:
Der liebe Gott woll' mit euch sein.
Er wird auch bei euch wohnen,
Euch eure Guttat lohnen!"
Das war Kinderdank. Der Wiesen-Hi11mann und die Seinen empfanden die Verheißung
des Kinderfreundes: Was ihr getan habt einem dieser geringsten Kleinen, die an
mich glauben, das habt Ihr mir getan!"
Auch von den anderen Gehöften tönte froher Singsang, und noch bevor es Zeit
wurde, mit den Eltern zur Kirche zu gehen, war die Jugend von Hönigern wieder
daheim, beladen mit den Frühlingsgaben des Sommersonntags, welchen jetzt eben
anfingen die Glocken der Dorfkirche einzuläuten mit ihrem Dreiklang C-E-G-s Citissime
in eo domino gaudete! Freut euch in dem Herrn allewege", mitten in der ernsten
Passionszeit.
Heimatruf März 1986 Nr.108
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