L A N K A U ( Laczany)

Flucht und Vertreibung der Familie Kirsch

zur Vergrößerung bitte die Bilder anklicken!

Lankau 1910

Hof der Familie Wawrok

Hof der Familie Weiß

Einweihung des Kriegerdenkmals

Dorfjugend

Kinderfest

Arbeiter des Baugeschäftes Kirsch

Sonntagsvergnügen

Kartoffelernte

Richtfest

heute:

Schloss

von Simmelwitz kommend

von Reichen kommend

FLUCHT UND VERTREIBUNG DER FAMILIE KIRSCH………

Seit Weihnachten 1944 gingen im Dorf die Gerüchte über die negative Entwicklung der Ostfront um. Offen traute sich kaum jemand darüber zu sprechen, aber westwärts ziehende Pferdewagen von bereits umgesiedelten "Bessarabien-Deutschen" aus dem Warthegau, beunruhigten die Bevölkerung erheblich. Besonders schlimm war die selbstverordnete Hinhaltetaktik der Partei, die alle nachgeordneten Organe, bis hin zu den Ortsgruppenleitern und Bürgermeistern im Unklaren ließ, wann, wie und ob überhaupt geflüchtet werden durfte. Hauptgründe waren die Vermeidung von Panik, die evtl. negative Beeinflussung der kämpfenden Truppen und vor allem die Gerüchte über den bevorstehenden Entlastungs-Einsatz von sogenannten "Wunderwaffen".

Am 19-01-1945 gegen Mittag kam endlich von der Kreisleitung in Namslau der gefürchtete, aber erwartete Anruf, mit der Aufforderung alle verfügbaren Pferdewagen mit dem Notwendigsten zu beladen und dafür zu sorgen, dass alle Dorfbewohner, die keinen eigenen Wagen hatten, mit darauf verteilt wurden. Ein erhebliches Problem bestand darin, dass es nicht genügend Kutscher gab. Auf den meisten Höfen waren die Männer im Krieg und die polnischen Knechte weigerten sich mit dem Treck mitzufahren. So musste mein Vater, obwohl er von Pferdewagen keine Ahnung hatte unseren Wagen übernehmen, während meine Mutter ihren DKW- Cabrio mitnehmen wollte.

Bei einer Außentemperatur von - 15 ° C und bei einsetzender Dunkelheit sammelte sich der Treck auf der Dorfstraße in Richtung Simmelwitz. Die Treckroute stand inzwischen auch fest, denn sie war schon lange vorher so ausgearbeitet worden, dass die Trecks weder sich selbst noch die kämpfenden Truppen oder den Nachschub behindern sollten.

Die Bevölkerung der Stadt Namslau und der Dörfer des gesamten Kreises, sollten bis zum Zielkreis Landeshut fahren und dort die weitere Entwicklung der Ereignisse abwarten.

Mein Großvater hatte zusammen mit seinem polnischen Knecht, Herrn Wrobel, unseren Wagen mit den beiden rabenschwarzen Steppenpferden (Hans und Lotte) fertig gemacht und mit den Sachen beladen, die mein Vater, meine Mutter und Emma Laske unsere Haushaltshilfe, die mit uns fahren wollte, bereitgestellt hatten. Dazu gehörte Verpflegung für mindestens1 Woche, warme Winterkleidung und Bettzeug.

In der Annahme, dass wir in kurzer Zeit wieder zurück sein würden, weigerte sich mein Großvater mitzukommen. Er sagte bei dieser Kälte kriege ihn niemand nachts auf die Straße. Ich bleibe mit Wrobel hier. Ausserdem kann ich gut Polnisch und leidlich russisch sprechen, uns wird schon nichts passieren, ich kenne die Russen von 1918. Es muss doch auch jemand das Vieh versorgen und auf das Haus aufpassen. Uns hinterherwinkend sahen wir ihn zum letzten Mal , danach war er - bis heute - verschollen.

Mit dem Treck ging es nur langsam voran, erst spät nach Mitternacht erreichten wir das Dorf Bischwitz, welches schon geräumt war, sodass wir direkt in den noch warmen Häusern übernachten konnten.


In Tagesabschnitten von jeweils ca. 20 km , über Ohlau, Schweidnitz, Alt-Reichenau, erreichten wir am 1.02.1945 Reußendorf im Kreis Landeshut , wo wir bis zum 11.02.1945 blieben. Es stellte sich bald heraus, dass die mitgebrachten Vorräte ausgingen und auch im Kreis Landeshut knapp wurden. Daraufhin wurden alle Treckwagen ganz entladen und fuhren zurück bis nach Schweidnitz, um dort eingelagerte Lebensmittel, wie Butter, Mehl, Zucker und Kartoffeln etc. zu holen. Bei dieser Aktion verschwand leider die Kiste mit den Lankauer Bürgermeister-Akten, in der sich auch die handgeschriebene Chronik des Dorfes Lankau befunden hatte.
Bedauerlich, weil viele darin enthaltenen Daten und Fakten sich nicht mehr rekonstruieren lassen.



Da die Wunderwaffen ausgeblieben waren, änderte sich auch das Kriegsglück der Deutschen nicht. Die russischen Truppen kamen näher und wir mussten weiterziehen. Bei vereisten, glatten Strassen bekamen unsere Treckwagen, die in der Ebene keine Bremsen brauchten zunehmend Schwierigkeiten. Der DKW meiner Mutter war in Schweidnitz vom Militär beschlagnahmt worden, meine Mutter übernahm deswegen die Pferde und mein Vater konnte sich mehr um seinen Posten als Treckführer kümmern. Dies war notwendig, weil die Dörfer im Sudetengau nicht immer bereit waren durchreisende Flüchtlinge unentgeltlich aufzunehmen., zu versorgen und die Pferde zu füttern.

Am 12.02.1945 ging es weiter, der neue Zielkreis der Namslauer war der Kreis Luditz im Bereich Marienbad, Karlsbad. Nördlich an Prag vorbei, hatten wir einige Begegnungen mit seltsamen Kolonnen in gestreiften Kleidern, die unter Bewachung auf Nebenstrassen marschierten, ausgehungert und krank aussahen. Wie Botschaften aus einer anderen Welt regnete es manchmal Silberstreifen oder Flugblätter, die man aber nicht lesen oder behalten durfte. Am 7.03.1945 erreichten wir unseren neuen Zielpunkt ein kleines Dorf in der Nähe von Chiesch. Der Treck wurde hier auf mehrere Dörfer verteilt, die Menschen nicht in privaten Häusern, sondern in den örtlichen Volksschulen untergebracht. Die überwiegend tschechische Bevölkerung sprach fließend Deutsch, war freundlich und strahlte Ruhe und Geborgenheit aus. Am Himmel tauchten, jetzt überraschend, immer wieder Tiefflieger auf, meist doppelrümpfige Lightnings, die auf der Strasse fahrende Fahrzeuge, aber auch Menschengruppen und Einzelpersonen mit Bordwaffen angriffen. So wurde der Sohn des deutschen Bürgermeisters auf dem Rückweg von der Schule in der Kreisstadt, im Straßengraben erschossen. Auch wir hatten ein ähnliches Erlebnis, als wir nördlich vom Dorf bei warmem Frühlingswetter und blauem Himmel auf einer großen Wiese spielten, überflogen 2 Lightnings das Dorf. Sie sahen auf der Wiese unsere Gruppe von ca zehn 8-12 jährigen Kindern, zogen eine Schleife, kamen zurück, einer ging tiefer und fing plötzlich an zu feuern. Wir warfen uns auf den Boden, es wurde niemand verletzt und wir rannten in den nahen Wald.

Mit dem Dorf verbinde ich aber noch eine andere böse Erfahrung . Zwei Tage nach dem Lightning -Zwischenfall hieß es im Dorf die Amis sind da und die Russen kommen von der anderen Seite. Da fingen die Tschechen an zu feiern und zu saufen, auf einmal hatte jeder eine Binde am Oberarm, manche hatten Stahlhelme aber jeder hatte eine Flinte oder Pistole. Auf dem Dorfplatz rotteten sie sich zusammen und dann holten sie unter lautem Schreien den Bürgermeister und den Ortsbauernführer und schlugen sie zusammen. Die gesamte Dorfbevölkerung stand wie in einer Arena drum herum. Die Alten von unserem Treck blieben in der Schule, aber wir neugierigen Kinder blieben dabei. Dann holte einer ein Pferd, mit einem Zuggeschirr, an das man die beiden Männer, an Stricken, mit den Füßen zum Pferd, in 3 m Abstand anband. Unter lautem Gejohle lief der dann mit dem Pferd um den Dorfplatz, Runde um Runde und die Leute am Rande droschen mit Knüppeln und Peitschen auf die beiden Männer ein. Das ganze eskalierte immer blutrünstiger von den beiden (schon älteren) Männern lebte wohl keiner mehr. Ich bekam Angst und lief auch zur Schule, in der wir untergebracht waren. Noch am gleichen Tag hieß es haut ab, ihr habt in unserem Dorf nichts mehr zu suchen. Die Dorfbewohner waren zu uns bis kurz vorher überfreundlich gewesen und hatten uns Milch, Eier, Butter, Käse und Brot verkauft. Ich kann rückschauend bis heute nicht begreifen, wie man sich von gutmütigen „Schwejks“ über Nacht in blutrünstige Monster verwandeln konnte. Angeblich waren die fanatischen, täglichen Rundfunkansprachen des Herrn Benès aus London, Schuld an dieser verborgenen, angespannten Stimmung, die sich dann explosionsartig entlud.

Wir sind dann mit nur noch 5 Treckwagen über Karlsbad, Plauen, Chemnitz, Görlitz, Breslau wieder Richtung Namslau, durch eine Art Niemandsland gefahren, dem man ansah, dass kurz vorher noch gekämpft worden war.

Schon ab Chemnitz sah man auf den Feldern und Wiesen neben der Strasse tote Tiere liegen Besonders spektakulär waren tote Kühe, die wie aufgeblasene, zum Zerplatzen gespannte Luftballons die Füße zum Himmel streckten. Irgendwo zwischen Görlitz und Liegnitz hat uns ein Erlebnis besonders betroffen gemacht. Als wir am frühen Morgen durch eine Vorortstrasse fuhren, hingen am Staketenzaun einer großen Villa, X-förmig, nebeneinander an den Zaun gebunden, zwei nackte Frauen, vielleicht Mutter und Tochter aus der Villa , beide tot.

Wir waren unter den letzten die noch über die Neisse gekommen waren, danach wurde die Grenze dicht gemacht. Besonders die Fahrt durch das total zerstörte Breslau war sehr deprimierend. Der Altbürgermeister Brand aus Lankau, der mit seiner keifigen Frau bei uns auf dem Wagen mitfuhr, jammerte ununterbrochen vor sich hin, was aus ihm werden solle. Wir kamen am 5. Juni 1945 wieder in Lankau an, dass wir am 18./19.Januar verlassen hatten.

Mein Vater kam einen Tag später nach Hause. (Er war noch in Luditz zum Volkssturm eingezogen worden, und musste sich in Peterswaldau melden.) Da das Haus abgebrannt war, beschlossen wir, in die Bürobaracke des Baugeschäfts einzuziehen. Einen guten Küchenherd und ein paar Möbel konnten wir uns leicht besorgen. Das Dorf war noch leer, wir hatten freie Auswahl. Die ersten Ostpolen kamen ca.10 Tage später. Sie rannten aufgeregt im ganzen Dorf herum und entschieden sich meist für die kleineren Häuser. Zu peinlichen Zwischenfällen kam es, wenn zurückgekehrte Deutsche, auch Einzelpersonen, was selbstverständlich, war zunächst in Ihren eigenen Häusern Unterschlupf gesucht hatten. Wenn das Haus gefiel, wurden sie unmissverständlich rausgeworfen. Dabei konnte man eine sich von Tag zu Tag steigernde Aggressivität beobachten. Nach 4 Wochen wohnten die Deutschen daher nur noch in den Zimmern eines Gemeinde-Auszüglerhauses, in dem unten der Kindergarten und oben kleine Wohnungen für alte, alleinstehende Leute untergebracht waren. Wir hatten in der Baracke zumindest in dieser Hinsicht bis zur Vertreibung unsere Ruhe. Meine Mutter schlief allerdings wegen der vielen nächtlichen Hausbesuche durch betrunkene Russen, während des ganzen Sommers, ungestört, auf dem versteckten Balkon unseres abgebrannten Hauses, den man nur mit einer Leiter erreichen konnte.

Auf der Straße von Namslau nach Lankau kam uns Frau Bärwald entgegen und freute sich uns wiederzusehen. Als wir sie natürlich sofort nach unserem Großvater fragten, den sie gut gekannt hatte, sagte sie uns, dass unser Haus abgebrannt sei und dass sie unseren Großvater seit Januar nicht gesehen hätte. Außer meinem Großvater war nur noch dieses 80-jährige, aber noch sehr rüstige Ehepaar Helene und Christian Bärwald zurückgeblieben. Der Mann war Kammerdiener beim Baron von Stosch gewesen, später Feldschütz und Waldläufer. Beide überlebten.

Mein Großvater hatte besonders vor den Russen keine Angst, er war im 1.Weltkrieg in russische Gefangenschaft geraten und gut behandelt worden.

Ich glaube es waren die im Ort zurück gebliebenen polnischen Arbeiter und Knechte, die insgeheim alle bewaffnet und gut organisiert gewesen waren und der Stunde der Befreiung schon entgegengefiebert hatten. Die wollten sicher in unser Haus um da zu feiern und zu plündern. Mein Großvater wollte sie vermutlich nicht reinlassen da haben sie ihn erschlagen. Allerdings fanden wir in der Nähe unseres Hause weder einen Hinweis auf eine vergrabene Leiche, noch Knochen in der ausgebrannten Ruine unseres Hauses.

Auch an anderen Stellen im Dorf wären uns frisch gegrabene Löcher aufgefallen. Andere Möglichkeit ? Die Russen haben damals jeden den sie kriegen konnten geschnappt und dazu benutzt um Vieh, vor allem Kühe, Richtung Osten zu treiben. Die Ställe der Bauernhöfe waren doch voll damit. Frage : "Wie weit kann eine Kuh im Winter laufen ?" In Lankau, gab es im Januar 1945 Hunderte von Kühen, Schweinen, Ziegen, Enten, Gänsen, Hühnern, Kaninchen, etc. Als wir Anfang Juni 1945 wieder zurückgekehrt waren, gab es im Dorf kein einziges lebendes Tier mehr ! Aber es gab auch keine Kadaver ! Nur einige Hunde, die offensichtlich erschlagen oder erschossen worden waren. Wo also waren die Tiere hingekommen ?? So war das in allen Dörfern zwischen Ostsee und den Sudeten.

Ich wünschte mir, dass die Zeitspanne 01- 06 / 1945 mal historisch, wahrheitsgemäß aufbereitet würde, um zu sehen was in dieser Zeit dort wirklich geschah. Irgendwo las ich, dass polnische "Suchtrupps" schon unmittelbar hinter der russischen Front jedes Haus nach Verwertbarem durchkämmten. Später war das offiziell verboten, denn es gehörte dem polnischen Staat. Im Kreis Namslau weiß ich allerdings, dass eine selbsternannte Kulturbeauftragte mit dem sehr gut gewarteten, intakten Feuerwehrauto (!) von Namslau sämtliche Schlösser abgeklappert hat und alles was antik wertvoll war, wie Gemälde, Möbel, Musikinstrumente, Teppiche, Besteck, Geschirr, etc. in ein eigenes Depot gebracht hat. Die ostpolnischen "Neusiedler" kamen ja erst im Juli / August 1945, aber da war alles schon geraubt, geplündert, aussortiert und verwüstet.

Dabei sahen alle Wohnungen, in die man reinschaute gleich aus. Der Inhalt von Regalen, Schränken oder Vorratskammern, war gleichmäßig über die Fußböden aller Räume verteilt.

Eingemachte Vorratsgläser (Krausen) mit Fleisch, Wurst, Früchten, Marmelade, Honig etc. grundsätzlich zerschlagen und Blechdosen durch Stiche mit dem Seitengewehr unbrauchbar gemacht. Über allem lag ein Flaum von Bettfedern aus dem aufgeschlitzten Bettzeug. Ich weiss nicht, ob das Gerücht stimmt, dass die Russen die Betten aufgeschlitzt haben um an die roten Inletts zu kommen, um daraus Fahnen zu machen? Oder dass sie Essvorräte in Annahme sie seien vergiftet, grundsätzlich unbrauchbar gemacht haben. Es sah jedenfalls überall nach „Arbeit“ aus oder nach unendlicher Freude am sinnlosen Zerstören.

Frau Bärwald, die mit ihrem Mann in einem kleinen, zum Dominium gehörenden Haus am Nordrand des Dorfes wohnte, hat sich darüber besonders geärgert. Überall waren gute Hausvorräte mutwillig kaputtgemacht worden, von denen sie sich wochenlang hätte ernähren können. Sie war fast täglich - ohne Gewalt - von Russen „besucht“ worden, die ihr regelmäßig Lebensmittel und Wodka mitgebracht hatten. Herr Bärwald bekam eine Flasche Wodka und musste sich auf die Bank vor dem Haus setzen, während die Russen in der guten Stube mit der 81-jährigen feierten..

Sie verehrten sie sogar und sagten sie sei sehr sauber und gesund. So ein bißchen verstand ich damals schon davon, ich weiß aber, dass die anderen noch zurückgekehrten Deutschen, einige Volksturmmänner und der Rest des Trecks, oft kopfschüttelnd darüber sprachen.
Als wir im Herbst 1946 endgültig vertrieben wurden, im Güterwagen über ein Lager Küchensee/ Storkow , südöstlich von Berlin, nahmen wir das Ehepaar Bärwald mit und brachten es zu ihrem Sohn in die Gegend von Fulda, wo sie 1949 kurz nacheinander starben.

Joachim Kirsch