Lohntarif für die in der Landwirtschaft des Kreises Namslau Beschäftigten

In der zwischen Vertretern des Arbeitgeberverbandes für den Kreis Namslau und Vertretern der Arbeitnehmerverbände im Beisein des Landratsamtsverwalters Dr. Sayur gemeinsam abgehaltenen Sitzung am 12. Juli 1919 wurde über die Lohn- und Arbeitsverhältnisse des Gesindes, der Arbeiter, sowie der Facharbeiter (Handwerker) verhandelt und für die in der Landwirtschaft des Kreises Namslau Beschäftigten folgender
Tarif - Vertrag
geschlossen.

Arbeitszeit.
Während der Monate November bis Februar von 6 1/2 Uhr vorm. bis 4 1/2 Uhr nachm. mit 2 Stunden Mittagspause = 8 Std.
Während der Monate März und Oktober von 6 Uhr vorm. bis 6 Uhr nachm. mit 1/2 Std. Frühstück und 2 Std. Mittagspause = 9 1/2 Std.
Während der Monate April bis September von 6 Uhr vorm. bis 7 Uhr nachm. mit 1/2 Std. Frühstück, 2 Std. Mittagspause und 1/2 Std. Vesper = 10 Std.
Für die Ernte ( 6 Wochen von Beginn der Ernte an) wird die täglich Arbeitszeit auf 11 Stunden festgesetzt.
Alle über vorstehende Arbeitszeiten hinaus geleistete Arbeiten werden als Überstunden bezahlt.

Bezüge und Löhne.

A. Bewertung der Bezüge und Naturalien.

a) Wohnung (1 Stube mit Gartenland) = 50 bis 80 M.
(1 Stube mit Kammer und Gartenland) = 70 bis 100 M.
b) Wohnung (2 Stuben mit Kammer und Gartenland) =100 bis 150 M.
c) Die Kleintierhaltung wird auf 6 Stück Kaninchen und 6 Stück Hühner beschränkt, ist aber frei.

d) 1 Zentner Kohle

= 4,-- M.

e) 1 rm Kullenholz

= 15,-- M.

f) 1 Zentner Weizen

= 16,-- M.

g) 1 Zentner Roggen oder Gerste

= 15,-- M.

h) 1 Liter Vollmilch

= 0,30 M.

i) 1 Liter Magermilch

= 0,15 M.

k) 1 Zentner Kartoffeln

= 5,-- M.

1) 1 Pfund Butter

= 3,50 M.

m)1 Pfund Mehl

= 0,20 M

n) 1 Pfund Brot

= 0,22 M

o) 1 Pfund Erbsen

= 0,40 M.

P) 1 Pfund Graupe

= 0,30 M

q) 1 Liter Buttermilch

= 0,15 M.

r) 1 Furche Kartoffeln, 45 Ruten lang:

ungedüngt

= 5,-- M

gedüngt

= 10,-- M.


Die gesamte Bearbeitung der Kartoffelfurchen, ebenso das Einbringen der Kartoffeln wird Werktags ausgeführt. Die Ernte von den Furchen muß bis spätestens 15. Okto­ber j. Js. durchgeführt sein.
t) Elektrischer Anschluß jährlich = 20,-- M.
u) Arzt und Apotheke für Kinder, soweit die Kranken- kassen nicht in Frage kommen, frei.
v) Volle Beköstigung mit Wohnung einschl. Bettwäsche für ledige Ackerkutscher und Mägde = 900,-- M.
w) 1/4 Morgen Ackerland bestellt zum Bebauen fertig = 35,-- M x) 1/4 Morgen Dienstland 10,-- bis 15,-- M.
y) Ziegenhaltung wird angerechnet mit = 30,-- M.

B. Löhne
1. Verheiratete Jungviehwärter, Ochsenfütterer, Wächter und Ackerkutsche = 1800 - 2000 M.
2. Dienstjungen und Mädchen:
von 14 - 16 Jahren jährl. = 200 - 250 M.
von 16-18 Jahren jährl. = 320 - 400 M.

3. Knechte und Mägde über 18 Jahre jährl. = 400 - 500 M. Knechte müssen jedoch selbständig mähen und Säcke tragen können.

4. Voll arbeitsfähige Frauen.
Von November bis Februar täglich = 1,50 M.
Für den 5. und 6. Arbeitstag in der Woche wird eine Arbeitsprämie von je 30 Pf. gezahlt.
Im März und Oktober täglich = 1,80 M.
Für den 5. und 6. Arbeitstag in der Woche dann eine Arbeitsprämie von je 20 Pf.
Von April bis September täglich = 2,30 M.
Für den 5. und 6. Arbeitstag in der Woche eben­falls eine Arbeitsprämie von je 20 Pf.
In der Ernte werden 6 Wochen lang täglich = 2,50 M. gezahlt. Werden jedoch mehr als 4 Arbeitstage in der Woche während der Ernte geleistet, so erhöht sich der tägliche Lohnsatz auf = 3,-- M. für jeden Arbeitstag.

5. Männliche und weibliche (nicht vollwertige) Arbeiter von 14 bis 16 Jahren.
Von November bis Februar täglich = 1,50 M.
Für den 5. und 6. Arbeitstag in der Woche wird eine Arbeitsprämie von je 50 Pf. gezahlt.
Deputat wird angerechnet und den Eltern überwiesen.
Für März und Oktober wie vor täglich gleich = 1,80 M. und je 20 Pf. Arbeitsprämie für den 5. und 6. Arbeitstag in der Woche.
Von April bis September täglich = 2,-- M.
Während der Erntezeit 6 Wochen täglich = 2,20 M.

6. Arbeiterinnen von 16 bis 18 Jahren
erhalten dieselben Löhne wie die Frauen unter Anrechnung des Deputats.

7.Arbeiterinnen über 18 Jahre, gelten als freie Arbeiterinnen,

8. Burschen 16 bis 18 Jahren.
Von April bis September täglich 3,50 M.
Von Oktober bis März täglich 3,00 M.
unter Anrechnung des Deputats mit der Maßgabe, daß Burschen, die Männerarbeit verrichten, so bezahlt werden wie ledige Lohngärtner.

9. Voll arbeitsfähige freie Arbeiterinnen über 18 Jahre.
Von April bis September täglich 3,50 M.
Von Oktober bis März täglich 4,00 M.
unter Anrechnung des Deputats.

10. Voll arbeitsfähige freie Männer über 18 Jahre.
Von April bis September täglich 6,00 M.
Von Oktober bis März täglich 4,00 M.
unter Anrechnung des Deputats.
Unverheiratete Äckerkutscher jährlich 1500,00 M.

11. Verheiratete Lohngärtner einschl. Deputat jährl. 1800,00 M. Akkordverdienst bleibt außer Ansatz. Für Fütterung durch Tagelöhner und Anspanner sind pro Tag und Pferd 15 Pfg. zu vergüten.

12. Vögte erhalten 200 bis 500 Mark mehr wie die Ackerkutscher.

13. Vorarbeiter, Großknechte und Futtersleute erhalten 100 bis 200 Mark mehr wie Ackerkutscher.

14. Akkordansätze müssen möglichst vor Beginn der Arbeit festgelegt werden und einen Mehrverdienst (von mindestens 20 %) über den Normalverdienst garantieren.

15. Für Facharbeiter (Stellmacher, Schmiede, Maschinisten) wird das Mindesteinkommen bis zur endgültigen Regelung auf 2700 bis 3000 M. festgesetzt. Für besondere Leistungen, die vertraglich festgelegt werden müssen, wird besonders bezahlt.

Die Facharbeiter dürfen halten: 3 Schweine und 20 Hühner.

Für einen zu haltenden Lehrling sind 100 Mk. jährlich in bar und als Entschädigung für volle Beköstigung, Wäsche usw. außerdem jährlich 900 Mk. zu zahlen.

16. Altere nicht mehr voll arbeitsfähige sowie gebrechliche jüngere Arbeitskräfte erhalten Lohn nach ortsüblicher Vereinbarung. Als ortsüblich gelten die Tarifsätze.

17. Überstunden und Notstandsarbeiten.
Für Überstunden gelten folgende Sätze:
an Männer 0,70 M.
an Frauen 0,40 M . an Arbeiter unter 16 Jahre 0,35 M.

Bei dringenden Arbeiten an Sonn- und Feiertagen wird der doppelte Lohn gezahlt. Hierbei werden Deputanten wie Tagelöhner bezahlt.

Vertragsmäßig übernommene Viehfütterung ist auch an Sonn- und Feiertagen vorzunehmen.

C. Steuern und gesetzliche Beiträge müssen die Arbeitnehmer selbst zahlen. Das Mietgeld wird auf den Lohn angerechnet.
Weihnachts-,Biergeld und sonstige Geschenke fallen weg.

D. Urlaub

Jeder Arbeiter usw. hat Anspruch auf Urlaub bis zu 5 Tagen im Jahr, die im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer festzusetzen sind. Urlaub aus wichtigem Anlaß ist hierauf nicht anzurechnen.

E. Im Falle des Todes eines verheirateten Arbeiters, usw.soll die hinterbliebene arbeitsfä- hige Witwe möglichst als freie Arbeiterin behandelt werden.


F. Zur Schlichtung von Streitigkeiten aus diesem Vertrage zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist ein Schlichtungsausschuß gebildet worden, in den gewählt wurden:

1. Seitens des Arbeitgeberverbandes:
1. Zirpel, Gutsbesitzer - Mittel-Wilkau,
2. Gogol, Bauergutsbesitzer - Buchelsdorf,
3. Suckert, Oberinspektor - Gr. Butschkau,
4. R. Wasner, Gutsbesitzer - Dt. Marchwitz, als Mitglieder
5. Kaiesse, Gutsbesitzer - Dt. Marchwitz,
6. Kursave, Bauergutsbesitzer - Gr. Marchwitz,
7. Schindler, Rittergutsbesitzer - Brzezinke,
8. R. Nicklaus, Oberinspektor - Dammer,als Stellvertreter.

2. Seitens der Arbeitnehmerverbände:
1. Fritz Hoffmann, Geschäftsführer, Namslau,
2. Paul Mundry, Gewerkschaftssekretär, Breslau,
3. Lischewski, Landarbeitersekretär, Namslau,
4. Dussa F. Dominialschmied, Buchelsdorf, als Mitglieder,
Im Falle des Ausscheidens des Geschäftsführers F. Hoffmann tritt an seine Stelle der Gewerkschaftssekretär A. Grötzner, Breslau.
5. Heimann Unikower, Kantor, Namslau,
6. Siebenhaar, Vogt, Grambschütz,
7. Nawroth, Arbeiter, Noldau,
8.Wierellok, Schmied, Lorzendorf, als Stellvertreter.

Zum Vorsitzenden des Schlichtungsausschusses wurde einstimmig Landratsamtverwalter Dr. Sayur gewählt.
Dieser Tarif tritt mit Rückwirkung vom 1. Juni 1919 ab in Kraft,
Anerkannt und vollzogen aufgrund der Verhandlungen.
Namslau, den 12. Juli 1919.

Seitens des ArbeitgeberVerbandes:
R. Zirpel, Suckert, R. Wasner, Gogol.

Seitens der Arbeitnehmerverbände:
F. Hoffmann, P. Mundry, Lischewski, Dussa. Dr. Sayur, Landratsamtverwalter, als Vertreter der Behörde.