Nur wenige Bewohner des Kreises Namslau wissen noch, daß das in weißleuchtendem
Fachwerkbau errichtete evanqelische Gotteshaus in Hönigern Krs. Namslau einmal
Mittelpunkt ernster Auseinandersetzungen der königlich preußischen Staatsführung
mit der evangelischen Kirchengemeinde Hönigern gewesen ist. Der preußische
König Friedrich Wilhelm II. (1797 - 1840) hatte damals schlaflose Nächte,
denn die Vorgänge in Hönigern am 24. Dezember 1834, die er gern ungeschehen
gemacht hätte, waren durch die Auslandspresse, das Tageblatt von New-Castle
(England) bekannt geworden. In seiner Ausgabe vom 15. Januar 1835 berichtete das Blatt
Wort für Wort aus den damals entstandenen Akten über Hönigern.
Den preußischen König traf die ganze Geschichte besonders, weil nämlich
die Kirche in Hönigern ein Geschenk seines Vorfahren, Friedrichs des Großen
gewesen ist. Lassen wir diese kriegerische Weihnachtsgeschichte in unserer Erinnerung
wieder wach werden.
Nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon erfüllte ein allgemeines Sehnen die
Deutschen nach einem einig Deutschen Reich. Friedrich Wilhelm II., König
von
Preußen - selbst ein guter Christ - glaubte, dem politischen Einigungsstreben
einen guten Dienst zu erweisen, wenn er auch auf evangelisch-kirchlichem Gebiet die
Zusammenführung verschiedener auf lutherischem Bekenntnis stehender Glaubensgemeinden
zu einer einheitlichen vereinigten unierten evangelischen Landeskirche
Preußens zusammenführte. Eine neue Agende - Gottesdienstordnung
- wurde erlassen, um damit die preußische evangelische Landeskirche zu schaffen.
Es gab freudige Zustimmung bei vielen evangelischen Kirchengemeinden und Widerspruch
und scharfe Ablehnung bei anderen, die - wie im Kirchenspiel Hönigern - ein Abgehen
von der altlutherischen Form des Gottesdienstes mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren
zu können glaubten.
Nach Konfiskation der Kirche in Hönigern durch die preußische Landeskirche
erbauten die selbständig gebliebenen Lutheraner ein neues, eigenes
Gotteshaus - zuerst eine Notkirche - im Nachbarort Schwirz. Der Seelsorger der damaligen
Kirchengemeinde Hönigern war Pastor Eduard Kellner. Er war nicht zu einem Aufgehen
seiner Gemeinde in der unierten preußischen Landeskirche bereit, und seine Kirchenältesten
und die Mehrzahl seiner Gemeindemitglieder des sich über zehn Dörfer erstreckenden
Kirchenspiels standen hinter ihm. Gütliche Verhandlungen bei dem damaligen Landrat
des Kreises Namslau, v. Ohlen, mit dem Breslauer Polizeipräsidenten, dem landes
kirchlichem Kon- sistorium, dem herzoglichen Bevollmächtigten, Hofrat v. Siebel,
vermochten die Haltung des Geistlichen nicht zu ändern. Die hohen Herren als Vertreter
der preußischen Staatsregierung kamen mehrfach nach Hönigern, um von den
Kirchenmitgliedern die Freigabe der Kirche und die Obergabe der Kirchenschlüssel
zu erwirken. Das Gotteshaus wurde seit September 1834 Tag und Nacht von Gemeindemitgliedern
bewacht, um eine unverhoffte Inbesitznahme zugunsten der unierten preußischen
Landeskirche zu verhindern. In einer Bretterbude neben der Kirche wurde durch Frauen
Verpflegung für den Wachdienst ausgegeben. Ein Warndienst war eingerichtet worden,
um notfalls die ganze Gemeinde schnell auf die Beine zu bringen. Kampfstimmung lag
in der Luft.
Herzog Eugen von Württemberg aus Carlsruhe, ein berühmter Feldherr der Befreiungskriege,
versuchte durch gütliches Zureden vergebens in den Besitz des Kirchenschlüssels
zu kommen. So laßt sie doch versehentlich auf dem Hofe liegen schlug
der verschmitzte Herzog vor. Wenn ich sie zufällig finde und die Kirche
aufschließe, ist das meine Sache. Gütig, aber mit vollem Ernst stellte
der sehr beliebte und verehrte Herzog den Bauern von Hönigern, unter ihnen der
Trompeten Hilmann und der Samthosen-Hilmann, die Folgen ihres
Widerstandes vor Augen. Aber die Männer in ihren Kniehosen und blauen Sonntagsröcken
verbeugten sich nur vor ihm bis zur Erde und die Frauen und Mädchen machten einen
tiefen Knicks. Über diesen Ausdruck der Verehrung hinaus geschah nichts. Es war
für den Herzog eben leichter, eine Schlacht zu gewinnen, als die dickschädeligen
Hönigerner Bauern zu überzeugen.
Da machte die Staatsgewalt Ernst:- Pastor Kellner und seine acht Kirchendeputierten,
darunter der wagemutige Altmüller Kabitz aus Städtel wurden verhaftet. Gewitterwolken
zogen sich über Hönigern zusammen. Am Donnerstag, dem 18. Dezember 1834 war
Landrat v. Ohlen mit dem neuen Pfarrverwalter Bauch von einer Audienz beim preußischen
König in Berlin nach Namslau zurückgekehrt. Militär wird eingesetzt
werden tuschelte man im Dorf. In Berlin aber war man ratlos: Was sollte man gegen
Männer, Frauen und Kinder tun, die Tag und Nacht vor dem Kirchenportal sitzen
und die Kirche bewachen? Ja, wenn es Umstürzler und politische Revolutionäre
gewesen wären - aber dieser passive Widerstand der als besonders königstreu
bekannten Bürger von Hönigern
Schließlich setzte der König mürrisch und widerwillig seine Unterschrift
unter den Marschbefehl des Militärs, wozu ihm der Minister Altenstein dringend
geraten hatte. In einer Sitzung im Landratsamt in Namslau am Sonntag, dem 20. Dezember
1834, unter Vorsitz von Landrat v. Ohlen wurde über die Audienz beim König
berichtet und mitgeteilt, daß das Militär bereitgestellt sei. Erbscholze
Müller erklärte daraufhin im Namen aller Gerichtsscholzen: Drohungen
können uns nicht einschüchtern. Das Militär wird keine körperliche
Gegenwehr bei uns finden.
Am Montag, dem 22. Dezember 1834, wehte ein eisiger Wind; es schneite stark. In der
Brauerei Hönigern war hoher Besuch: Der kgl. Polizeirat, der kgl. Konsistorialrat
und der kgl. Landrat hatten sich eingefunden. Sie richteten eine letzte Aufforderung
an die Gemeinde die Kirche zu übergeben. Die Aufforderung wurde durch eine Allerhöchste
Kabinetts-Resolution, die zur Kundgabe an alle Bürger angeschlagen worden
war, unterstrichen. Dem Hillmann-Scholzen aus Hönigern wurde ein königliches
Handschreiben mit der Aufforderung zur Kirchenübergabe überreicht. Die Bauern
von Hönigern lehnten ab.
Am Dienstag, dem 23. Dezember 1834, vormittags um 10 Uhr, fand auf dem Dorfplatz von
Minkowski (Seydlitzruh) ein Appell zweier Kompanien des 2. Schlesischen Grenadier-Regiments
No. 11 statt, die in Marsch gesetzt wurden. Um 12 Uhr ertönte in Hönigern
Marschmusik. 400 Infantristen, eine Eskadron Breslauer Kürassiere und eine Eskadron
Ohlauer Husaren trafen ein und nahmen in Hönigern Quartier.
Die Soldaten machten große Augen wegen der freundlichen Aufnahme durch die Quartierwirte.
Diese freundlichen Bauern und Handwerker sollten Aufrührer sein?
Ruhig ging alles schlafen. Vor der Kirchentür wanderten die wachhabenden Bewohner
von Hönigern auf und ab, wechseln sich ab und stärken sich durch heißen
Tee in der Bretterbude. Leichte Schneeflocken fielen tänzelnd durch die frostklirrende
Nacht auf das friedlich schlafende Dorf herab.
Aber um 4.30 Uhr, am 24. Dezember 1834 unterbrechen Alarmsignale die Stille des Weihnachts-
friedens. Der Sturm bricht los. über ihn berichtet die erwähnte englische
Zeitung wie folgt:
Auf dem Kirchplatz in Hönigern vor der schönen alten lutherischen Fachwerkkirche,
einer Stiftung des Königs Friedrich des Zweiten aus dem Jahr 1744 steht festlich
geputzt ein beträchtlicher Teil der Gemeinde. Von Zeit zu Zeit ertönt ein
geistliches Lied. Männer und Frauen, letztere in ihren weitgesteiften Röcken,
warmen Winterjacken und künstlerisch bunt gestickten Kopftüchern. Doch die
Stille wird unterbrochen! Aus den umliegenden Feldern und Gärten, hinter Hecken
und Zäunen wird es lebendig. Vier Kompanien preußischer Soldaten stürmen
im Laufschritt von allen Seiten über den stillen Friedhof auf die Kirche zu. Man
schlägt mit dem Kolben auf die Wehrlosen ein. Die andächtige Menge wehrt
sich nicht. Die Bedrängten eilen auf die Dorfstraße zurück, um sich
nach Hause zu begeben. Viele sind aus den Nachbardörfern gekommen. Aber man läßt
sie nicht ungerupft zurückkehren. Zwei Einheiten preußischerHusaren und
Kürassiere jagen den Flüchtenden nach. Es ertönt ein Schuß; man
sagt er sei aus Versehen losgegangen. Die Kaffeebaracke steht in Flammen. Es hat Verwundete
gegeben. Andere Dorfbewohner helfen ihnen. Die Menge verkrümelt sich. Der Erdboden
ist mit Kleidungsfetzen, Zopfschleifen und Gesangbüchern bedeckt.
Und während wilder Schlachtenlärm die Kirche von Hönigern umtost, läuten
die Glocken der Kirchen in den umliegenden Dörfern den heiligen Weihnachts -abend
ein.
Unbemerkt hatte der Trompeten-Hillmann den Zwiebelturm der Kirche von Hönigern
erklimmen können. Mit lauten Trompetenstößen blies er die erste Strophe
des Lutherliedes Eine feste Burg ist unser Gott. Da fiel vom Dorf her der
Kavallerietrompeter in das Lied ein und beide bliesen gemeinsam die zweite Strophe.
Die Kirche wurde gewaltsam geöffnet und in Besitz genommen. Die Staatsführung
hatte gesiegt. Aber das Echo des übereilten Schrittes eines preußischen
Ministers waren diplomatische Schritte des britischen Botschafters in Berlin, eine
Anfrage der dänischen Regierung und eine Protestnote der sächsischen Regierung
sowie zahlreiche Protestschreiben maßgeblicher kirchlicher Persönlichkeiten.
Der preußische Kronprinz mahnt in tiefem Ernst zu Frieden und Ausgleich. Später
beendete er als König Friedrich Wilhelm IV. am 23. Juli 1845, den mehr als zehnjährigen
Streit um die Kirche in Hönigern. Sein königlicher Erlaß bestätigte
den Altlutheranern in Hönigern die eigenkirchliche Freiheit und Selbständigkeit.
Arthur Kalkbrenner
|